Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert.

Verursacht Talkum in Babypuder Krebs?

Der riesige US-Konzern Johnson & Johnson wurde in einem Prozess verurteilt, weil seine talkhaltigen Produkte keine Warnung vor einem eventuellen Krebsrisiko enthalten. Ist Talk gefährlich?

AutorIn:
Review:  Claudia Christof 

Steigern Produkte mit Talkum, wie beispielsweise Babypuder, das Risiko für Eierstockkrebs?

Im Grunde sind Kohortenstudien aussagekräftiger als Fall-Kontroll-Studien. Die beiden existierenden großen Kohortenstudien sprechen gegen ein erhöhtes Risiko, beinahe alle Fall-Kontroll-Studien für ein erhöhtes Risiko. Um ein mögliches Risiko nicht zu unterschätzen, bewerten wir die Studienlage trotz der Kohortenstudien als unklar.

so arbeiten wir
© showcake - fotolia.com Talk ist Hauptbestandteil von Puder.
© showcake – fotolia.com

Freunde der Fernsehserie „The Big Bang Theory“ wissen, dass Talk – auch Talkum genannt – der Hauptbestandteil von Babypuder ist und dem Serienprotagonisten Sheldon Cooper einen speziellen Geruch beschert. Häufiger sind es jedoch Frauen, die bei der Körperpflege zu Talkprodukten greifen und damit beispielsweise ihren Intimbereich pflegen.

In den frühen 80er Jahren weckte eine Studie [1] erstmals den Verdacht, Talk erhöhe das Risiko für Eierstockkrebs. Im Februar 2016 wurde ein Hersteller in den USA in erster Instanz zu einer Strafe von 72 Millionen Dollar verurteilt, weil auf seinem Babypuder keine entsprechende Warnung angebracht war. Ob dieses Urteil tatsächlich bestehen bleibt, wird angezweifelt. So wie es künftige Gerichte in diesem Fall tun werden, haben auch wir uns die bestehenden Studien angeschaut.

Eine Frage der Methode

Kurzer theoretischer Exkurs: Medizinische Studien können auf unterschiedliche Methoden zugreifen. Nicht alle Methoden sind gleich aussagekräftig. Bei der Geschichte mit dem Talk sind zwei unterschiedliche Varianten interessant: In vielen Studien werden die Geschichten von Frauen, die an Eierstockkrebs erkrankt sind, Geschichten von vergleichbaren gesunden Frauen gegenübergestellt: Haben sich die erkrankten Frauen anders ernährt, sich weniger bewegt oder waren sie bestimmten Risikofaktoren ausgesetzt – haben sie beispielsweise mehr talkhaltige Produkte verwendet? Solche Fall-Kontroll- Studien sind sehr schwierig umzusetzen, weil nie ganz klar ist, ob die Fälle wirklich vergleichbar sind und welche unbekannten Rahmenbedingungen noch mitspielen.

Die zweite Methode sind prospektive Kohortenstudien: Dahinter verbirgt sich, dass eine Gruppe von Menschen über einen längeren Zeitpunkt begleitet wird. Die Forscher analysieren in regelmäßigen Abständen deren Daten und Erkrankungen. Diese Methode ist deutlich aussagekräftiger als Fall-Kontroll-Studien.

Die Kunst, ein Risiko einzuschätzen

Für die Frage, ob Talk Eierstockkrebs auslöst, gibt es zwei Kohortenstudien [1] [2], die methodisch gut gemacht sind und ausreichend Teilnehmerinnen haben. Beide sprechen gegen ein erhöhtes Risiko. Da Kohortenstudien, wie oben beschrieben, aussagekräftiger sind als Fall-Kontroll-Studien, könnten wir behaupten, die Studienlage würde gegen ein erhöhtes Risiko sprechen.

Allerdings unterscheidet sich die Einschätzung, ob ein Medikament wirksam ist, grundsätzlich davon, wie mit der Gefahr eines Risikos umgegangen werden muss. Zwar basiert beides auf der Einschätzung von Studien, doch während es bei Medikamenten darum geht, die Wirkung nicht zu positiv darzustellen, soll bei möglichen Risiken vermieden werden, eine Bedrohung eventuell zu übersehen. Oder einfacher gesagt: Bei der Risikoeinschätzung ist man vorsichtiger und auch schwächere Hinweise werden sicherheitshalber ernst genommen.

Die schwächeren Hinweise kommen bei der Geschichte mit dem Talk aus zahlreichen Fall-Kontroll-Studien [3-6]. Von denen weisen die meisten auf ein erhöhtes Risiko für Eierstockkrebs hin, bei Frauen die regelmäßig talkhaltige Produkte verwenden im Gegensatz zu Frauen, die gar keine talkhaltigen Produkte verwenden.

Allerdings zeigen die Fall-Kontroll-Studien keine Hinweise auf einen Einfluss der Dosis – ob mehr Talk schlechter ist als viel Talk, verraten die Studien nicht.

Talk und Asbest

Talk hat ein paar strukturelle Ähnlichkeiten mit dem bekanntermaßen tatsächlich krebserregenden Asbest. Und: Früher hat Talk sogar Spuren von Asbest enthalten. Doch seit 1976 wird nur noch reiner, asbestfreier Talk in Kosmetikprodukten verwendet. Die Ergebnisse eher früher Fall-Kontroll-Studien könnten aber durchaus noch vom asbesthaltigen Talk beeinflusst sein.

Fazit

Um auf der sicheren Seite zu sein, schätzen wir trotz der höherwertigen Kohortenstudien, die gegen ein Risiko sprechen, das Risiko als unklar ein. Sicher ist, dass die Frage für die weiteren Gerichtsverhandlungen in den USA eine Herausforderung darstellen wird.

[1] IARC Bericht über Talk (2006)
Studientyp: systematische Übersichtsarbeit
Fragestellung: Fördern talkhaltige Kosmetikprodukte das Risiko für Eierstockkrebs?
Interessenskonflikte: Keine laut Autoren, Arbeitsgruppe der WHO

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[2] Houghton u.a. (2014)
Studientyp: prospektive Kohortenstudie mit 61576 postmenopausalen Frauen
Fragestellung: Fördern talkhaltige Kosmetikprodukte das Risiko für Eierstockkrebs?

Houghton SC, Reeves KW, Hankinson SE, Crawford L, Lane D, Wactawski-Wende J,
Thomson CA, Ockene JK, Sturgeon SR. Perineal powder use and risk of ovarian
cancer. J Natl Cancer Inst. 2014 Sep 10;106(9).
Volltext

[3] Gross, Berg (1995)
Studientyp: Metaanalyse mehrerer Fall-Kontroll-Studien
Fragestellung: Fördern talkhaltige Kosmetikprodukte das Risiko für Eierstockkrebs?

Gross AJ, Berg PH. A meta-analytical approach examining the potential
relationship between talc exposure and ovarian cancer. J Expo Anal Environ
Epidemiol. 1995 Apr-Jun;5(2):181-95.
Zusammenfassung
[4] ] Whysner, Mohan( 2000)
Studientyp: narrative Übersichtsarbeit
Fragestellung: Fördern talkhaltige Kosmetikprodukte das Risiko für Eierstockkrebs?

Whysner J, Mohan M. Perineal application of talc and cornstarch powders:
evaluation of ovarian cancer risk. Am J Obstet Gynecol. 2000 Mar;182(3):720-4.
Zusammenfassung

[5] Langseth u.a. (2008)
Studientyp: narrative Übersichtsarbeit mit Metaanalyse einiger Fall-Kontroll-Studien
Fragestellung: Fördern talkhaltige Kosmetikprodukte das Risiko für Eierstockkrebs?

Langseth H, Hankinson SE, Siemiatycki J, Weiderpass E. Perineal use of talc
and risk of ovarian cancer. J Epidemiol Community Health. 2008 Apr;62(4):358-60.
Zusammenfassung

[6] Terry u.a. (2013)
Studientyp: Zusammenfassung von 8 Fall-Kontroll-Studien
Fragestellung: Fördern talkhaltige Kosmetikprodukte das Risiko für Eierstockkrebs?

Terry KL, Karageorgi S, Shvetsov YB, Merritt MA, Lurie G, Thompson PJ, Carney ME, Weber RP, Akushevich L, Lo-Ciganic WH, Cushing-Haugen K, Sieh W, Moysich K, Doherty JA, Nagle CM, Berchuck A, Pearce CL, Pike M, Ness RB, Webb PM; Australian Cancer Study (Ovarian Cancer); Australian Ovarian Cancer Study Group, Rossing MA, Schildkraut J, Risch H, Goodman MT; Ovarian Cancer Association Consortium.
Genital powder use and risk of ovarian cancer: a pooled analysis of 8,525 cases and 9,859 controls. Cancer Prev Res (Phila). 2013 Aug;6(8):811-21.

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