Das große Gähnen: späterer Schulbeginn besser?

Der Schulbeginn zeitig in der Früh ist für Teenager (und die ganze Familie) eine echte Plage. Sind Gesundheit und Lernerfolg besser, wenn der Unterricht erst später startet?

Verbessert ein späterer Schulbeginn Gesundheit, Lernerfolg und Lebensqualität bei Jugendlichen?

Die Fragestellung ist in mehreren großen Studien untersucht worden. Wegen methodischer Mängel und widersprüchlicher Ergebnisse lassen sich daraus keine sicheren Schlussfolgerungen ziehen. Das heißt, die Wissenschaft kann sich aktuell weder für noch gegen einen Nutzen eines späteren Schulstarts aussprechen.

so arbeiten wir
© Elnur - shutterstock.com Leider nicht wissenschaftlich erwiesen: später Schulstart tut Morgenmuffeln (und ihren Familien) gut.
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„Nur noch fünf Minuten!“ 6.20 Uhr, 6.25 Uhr, 6.30 Uhr – und immer noch ist der Teenie nicht am Frühstückstisch zu sehen. Und dabei muss der pubertierende Sprössling gleich aus dem Haus, um den Schulbus nicht zu verpassen – noch dazu, wo heute in der ersten Stunde der Physiktest ansteht…

In solchen Situationen ist in vielen Familien Streit vorprogrammiert und kulminiert dann meist in Diskussionen um Fernseh-, Handy- und WLAN-Zeiten am Abend. Aber sind die undisziplinierten Halbwüchsigen tatsächlich das Problem – oder doch eher der in vielen Schulen übliche frühe Unterrichtsbeginn? Würde sich die Situation nicht deutlich entspannen, wenn die Schule erst um 9 Uhr oder später beginnen würde?

Aus dem Rhythmus

Diese Frage stellen sich nicht nur genervte Jugendliche und deren in Mitleidenschaft gezogene Angehörige sowie immer wieder auch die Medien. Unterstützung bekommen entsprechende Forderungen auch durch einige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Aber gibt es für den Nutzen auch aussagekräftige Belege aus guten Studien?

Viele Studien, wenig Klarheit

Diese Frage ist tatsächlich in etlichen Studien untersucht worden [1,2]. Dabei wurde ein früher mit einem späten Schulbeginn verglichen – samt Auswertungen, wie sich die Schulbeginn-Uhrzeit auf Schulerfolg, seelische Gesundheit oder Wachheit der Jugendlichen auswirkt.

Allerdings müssen Teenager und Eltern jetzt ganz stark sein: Denn trotz 27 Studien an hunderttausenden Schülerinnen und Schülern lassen sich aus der Forschung keine eindeutigen Ergebnisse ableiten.

Das Problem: Die Studien kommen meist zu widersprüchlichen Ergebnissen. Einig scheinen sie nur darin zu sein, dass die Teilnehmenden durch den späteren Schulbeginn länger schliefen. Doch aufgrund von Problemen bei der Studiendurchführung ist auch dieses Ergebnis nicht aussagekräftig. Insgesamt können die bisherigen Studien Forderung nach einem späteren Schulbeginn also nicht untermauern.

Ein Funken Hoffnung

Allerdings schließt dies nicht aus, dass ein späterer Schulbeginn sinnvoll sein könnte – vielleicht lässt sich in Zukunft der Nutzen mit Hilfe besserer Untersuchungen zeigen.

Besser erforscht gehören auch eventuelle unerwünschte Effekte: etwa die Folgen, wenn Eltern früher als ihre Kinder zur Arbeit aufbrechen müssen und es etwa kein gemeinsames Frühstück mehr gibt. Oder, dass dann der Unterricht länger dauert und für Sport, Musikunterricht oder andere Nachmittagsaktivitäten weniger Zeit bleibt.

Bis bessere Forschungsergebnisse vorliegen, bleibt allen geplagten Jugendlichen und Eltern also nur die Option, sich weiterhin früh aus dem Bett zu quälen – oder zu hoffen, dass die Schulleitung trotz fehlender Belege dennoch Einsehen hat.

Von Lerchen zu Eulen

Die Grundlagenforschung zum biologischen Rhythmus lässt den Wunsch nach einem späteren Schulbeginn wissenschaftlich vernünftig erscheinen. Denn der Schlaf-Wach-Rhythmus von Teenagern ist offenbar nicht fürs frühe Aufstehen gemacht.

Anders als vor der Pubertät und im Erwachsenenalter scheint sich der Biorhythmus bei Jugendlichen zu verschieben – sie werden von früher aufstehenden „Lerchen“ zu morgenmuffeligen „Eulen“. Sie gehen am liebsten erst zu vorgerückter Stunde ins Bett und wachen entsprechend später auf. Auch sind sie eher später am Tag aufnahmebereit und lernfähig.

Da die Schule aber ziemlich früh beginnt, haben viele Jugendliche entsprechend nicht ausreichend geschlafen. Das macht es für sie schwierig, sich in den ersten Schulstunden ausreichend zu konzentrieren und mit dem Schulstoff zu beschäftigen

Die Studien im Detail

Welche Studien haben wir berücksichtigt?

Ob sich ein späterer Schulbeginn positiv auswirkt, ist schwierig zu untersuchen.
Die aussagekräftigste Studienform wäre eine randomisiert-kontrollierte Studie. Dabei würden Schulklassen mehrerer Schulen nach dem Zufallsprinzip (randomisiert) in zwei Gruppen aufgeteilt. In der Untersuchungsgruppe würde der Unterricht für die Jugendlichen in den teilnehmenden Klassen später anfangen, in der Kontrollgruppe genauso früh wie bisher. Bis zum Ende der Studie würde ein Forschungsteam dann erheben, ob sich Noten, Wachheit, psychische Gesundheit oder Schlafdauer verbessert haben.

Eine solche Untersuchung ist jedoch sehr aufwändig und wurde bisher nur in einer einzigen Studie durchgeführt. Wir haben daher auch weniger streng durchgeführte Studien berücksichtigt. Manche waren Vorher-Nachher-Vergleiche. Das heißt, die Schülerinnen und Schüler wurden vor sowie nach der Einführung eines späteren Schulbeginns untersucht. In anderen Studien wurden Schulen mit früherem und Schulen mit späterem Unterrichtsbeginn verglichen, ohne dass die teilnehmenden Schulen per Zufall zugeteilt worden waren.

Bei unserer Literaturrecherche sind wir auf zwei systematische Übersichtsarbeiten gestoßen, welche die Ergebnisse von insgesamt 27 Studien zusammenfassen. Dabei sind Untersuchungen berücksichtigt, die bis Februar 2016 [1] bzw. bis November 2020 [2] veröffentlicht wurden.

Teilgenommen haben Jugendliche zwischen 11 und 19 Jahren aus vielen verschiedenen Ländern. In der kleinsten Studie waren es 157 Schülerinnen und Schüler, in der größten mehr als 770.000. In den meisten Untersuchungen betrug der Unterschied zwischen frühem und späterem Schulbeginn 40 bis 80 Minuten.

Wie aussagekräftig sind die Studien?

Die Studien liefern kein klares Bild und meist widersprüchliche Ergebnisse. Die Probleme:

  • Unbekannte Einflussfaktoren: Treten in Vorher-Nachher-Studien Unterschiede auf, müssen diese nicht durch den späteren Schulbeginn bedingt sein – sie können auch durch andere Veränderungen im Lauf des Untersuchungszeitraums verursacht worden sein.
  • Fehlende Vergleichbarkeit: Unterschiede zwischen Schulen mit frühem und mit späterem Unterrichtsbeginn könnten auch deshalb auftreten, weil die Schülerinnen und Schüler der verglichenen Schulen auch abgesehen vom Unterrichtsbeginn unterschieden haben. Nur eine Zuteilung nach dem Zufallsprinzip (Randomisierung) sorgt für vergleichbare Gruppen.
  • Fehlende Daten: In etlichen Studien wurden nicht alle erhobenen Daten veröffentlicht und ausgewertet.
  • Unterschiedliche Arten der Untersuchung: Grund für die meist widersprüchlichen Ergebnisse könnte die oft unterschiedliche Art sein, wie die Studien durchgeführt wurden und was sie auf welche Art erhoben haben.
  • Zu kurzer Untersuchungszeitraum: die einzige randomisiert-kontrollierte Studie lief nur über zwei Wochen. Dieser Zeitraum ist viel zu kurz für aussagekräftige Ergebnisse.
  • Einfluss von Erwartungen: Die Jugendlichen, Lehrkräfte und Eltern hatten vermutlich Erwartungen oder Hoffnungen, wie sich der spätere Schulbeginn auswirken würde. Das kann die Ergebnisse beeinflusst haben.

Versionsgeschichte

 

  • 7. September 2022: eine neuere Übersichtsarbeit ändert unsere Einschätzung nicht
  • 5. Dezember 2018: erste Version

 

[1] Marx (2017)
Marx R u.a. Later school start times for supporting the education, health, and well-being of high school students. Cochrane Database Syst Rev. 2017:CD009467 (Übersichtsarbeit in voller Länge)

[2] Biller (2022)
Biller AM, Meissner K, Winnebeck EC, Zerbini G. School start times and academic achievement – A systematic review on grades and test scores. Sleep Med Rev. 2022 Feb;61:101582. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit)

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