Misteltherapie bei Krebs fragwürdig

Die Misteltherapie kommt manchmal als ergänzende Therapie in der Krebsbehandlung zum Einsatz. Wissenschaftlich belegt ist ihre Wirksamkeit jedoch nicht.

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Review:  Bernd Kerschner 

Hilft die Misteltherapie gegen Krebs oder kann sie die Lebensqualität von Krebskranken verbessern?

Die Misteltherapie bei Krebs wurde zwar in einigen Studien untersucht. Diese sind jedoch sehr mangelhaft und kommen zu uneinheitlichen Ergebnissen. Eine Wirksamkeit der Misteltherapie können sie nicht belegen. Zudem besteht der Verdacht, dass Mistelpräparate bei manchen Krebsarten das Tumorwachstum sogar anregen könnten.

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© Dušan Zidar - Fotolia.com Der Mythos von der Mistel als Heilmittel gegen Krebs ist etwa hundert Jahre alt. Eine wissenschaftliche Grundlage fehlt bis heute.
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Im Kampf gegen Krebs wollen Erkrankte meist nichts unversucht lassen. Auch die Nachfrage nach naturheilkundlichen Behandlungen ist groß – etwa als Ergänzung zur Chemotherapie. Einzelne Ärztinnen und Ärzte empfehlen zusätzlich zu herkömmlichen Behandlungen eine Misteltherapie. Dabei werden Präparate aus dem Extrakt der europäischen Mistel unter die Haut gespritzt. Diese sollen das Immunsystem stärken, Nebenwirkungen einer Chemotherapie verringern und so die Lebensqualität der Betroffenen steigern [4,5]. Medizinische Fachgesellschaften empfehlen die Misteltherapie derzeit nicht – aus Mangel an wissenschaftlichen Beweisen (Stand Dezember 2021).

Wir wollten uns selbst ein Bild machen und haben in verschiedenen Datenbanken nach Studien gesucht. Kann die Misteltherapie das Tumorwachstum bremsen und die Überlebenschancen von Krebspatientinnen und -patienten erhöhen? Kann sie eine Chemotherapie verträglicher machen und die Lebensqualität verbessern?

Wirksamkeit unklar – trotz etlicher Studien

Wir fanden drei aktuelle Übersichtsarbeiten [1-3], die die bisherige Studienlage zur Misteltherapie bei Krebs zusammenfassen. Die Autorinnen und Autoren der Übersichtsarbeiten gingen vor allem zwei Fragen nach: Leben Erkrankte länger, wenn sie mit Mistel-Extrakt behandelt werden? Und erhöht die Misteltherapie die Lebensqualität und das Wohlbefinden der Patentinnen und Patienten?

Alle drei Arbeiten kommen zu demselben Schluss: Die verfügbaren Studien sind zu mangelhaft und zu wenig aussagekräftig. Es ist derzeit unklar, ob an Krebs Erkrankte durch die Misteltherapie länger oder besser leben.

Keine Verlängerung der Überlebenszeit nachweisbar

Die Analyse der bisher veröffentlichten Studien zum Überleben [1] zeigen: Insgesamt scheint die Mistel-Therapie die Lebenszeit von Krebskranken nicht verlängern zu können. Dass die Therapie tatsächlich nicht wirkt, können wir daraus allerdings nicht mit Sicherheit schließen. Dazu sind die Ergebnisse zu widersprüchlich und die Studien zu mangelhaft durchgeführt.

Mehr Wohlbefinden durch Misteltherapie: Placebo-Effekt?

Erhöhte die Misteltherapie die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten während einer Chemotherapie? Die verlässlichsten – weil gut durchgeführten – Studien fanden keinen solchen Effekt [3].

Zwar gaben die Teilnehmenden in mindestens der Hälfte der analysierten Studien an, sich mit Misteltherapie besser zu fühlen [2,3]. Diese Studien sind allerdings wenig aussagekräftig. Den Teilnehmenden war nämlich bewusst, ob sie Mistel-Extrakt bekamen oder nicht. Die Erwartung einer Wirkung kann bereits dazu geführt haben, dass sich die Teilnehmenden besser fühlten (Placebo-Effekt).

Misteltherapie: Vorsicht bei manchen Krebs-Formen

Während Nachweise einer Wirksamkeit trotz langjähriger Forschung fehlen, geben manche Laborversuche Hinweise darauf, dass Mistelpräparate sogar Schaden anrichten haben könnten. So besteht der Verdacht, etwa dass sie das Tumorwachstum in manchen Fällen beschleunigen. Deshalb warnen Fachgesellschaften vor einer Misteltherapie bei Hautkrebs und bestimmten Krebserkrankungen des Blutes [5].

Ansonsten scheinen Mistelpräparate, die unter die Haut gespritzt werden, gut verträglich zu sein. Am häufigsten klagen Patientinnen und Patienten über Beschwerden an der Einstichstelle. Auch allergische Reaktionen sind möglich [1,4].

Mehr Informationen

Wissenschaftlich fundierte Informationen zu sogenannten komplementärmedizinischen Behandlungsmethoden bei Krebs liefert das Deutsche Krebsinformationszentrum.

Anthroposophischer Mythos

Die Misteltherapie wurde um 1920 von Rudolf Steiner als Krebstherapie erdacht, dem Gründer der Anthroposophischen Lehre. Eine naturwissenschaftliche Grundlage hat die Therapie nicht, sie beruht auf der persönlichen Anschauung Steiners: Die Mistel wächst als Parasit auf anderen Bäumen und gedeiht auf deren Kosten. Er sah darin eine Ähnlichkeit mit dem Wachstum von Tumoren und schlussfolgerte, die Mistel könne bei Krebs helfen. Seine Idee folgte damit dem Ähnlichkeits-Prinzip, auf dem auch die Lehren der Homöopathie fußen [5].

Misteltherapie: Ein mitteleuropäisches Phänomen?

Trotz fehlender Belege für ihre Wirksamkeit kommt die Misteltherapie in Österreich, Deutschland und der Schweiz bei Krebs häufig zum Einsatz. Ganz anders als im Rest der Welt, wo die Mistel deutlich seltener oder überhaupt nicht verwendet wird. In den USA etwa sind Mistel-Präparate aufgrund fehlender Wirknachweise gar nicht zugelassen [5].

Forschung im Reagenzglas: Nicht auf Menschen übertragbar

Aus Labortests weiß man inzwischen: Die als Halbschmarotzer auf Bäumen wachsende immergrüne Mistel enthält Inhaltsstoffe, die im Reagenzglas Tumorzellen abtöten und Immunzellen stimulieren können [4-6]. Dass das auch im menschlichen Körper funktioniert, lässt sich daraus aber nicht schließen. Um die zu belegen fehlen – auch nach rund hundert Jahren noch – aussagekräftige Studien.

Die Studien im Detail

Wir suchten in drei verschiedenen Datenbanken nach Übersichtsarbeiten, die die derzeitige Studienlage zur Misteltherapie bei Krebs zusammenfassen. Wir fanden drei aktuelle Arbeiten [1-3]. Zwei davon untersuchten, ob Misteltherapie die Lebensqualität von Krebspatientinnen und -patienten verbessern kann [2,3]; die dritte untersuchte die Auswirkungen der Therapie auf die Überlebenszeit und das Fortschreiten der Krebserkrankung [1].

Kann die Mistel Todesfälle hinauszögern oder verhindern?

Diese Übersichtsarbeit fasst die Ergebnisse von 14 Studien zusammen, an denen insgesamt 2.339 an Krebs Erkrankte teilnahmen [1]. Dabei handelte es sich um ganz unterschiedliche Krebserkrankungen wie Brustkrebs, Darmkrebs, Lungenkrebs oder Hautkrebs. Die Teilnehmenden waren im Durchschnitt etwa 50 Jahre alt, rund zwei Drittel davon waren Frauen.

In den Studien wurden die Teilnehmenden in zwei Gruppen aufgeteilt: Eine Gruppe erhielt – meist zusätzlich zu einer Chemotherapie – eine Therapie mit einem Mistel-Präparat, die andere erhielt eine alleinige Behandlung mit Chemotherapie (Kontrollgruppe). In manchen Studien kam die Misteltherapie auch nach einer Tumoroperation zum Einsatz. Als Vergleichsgruppe dienten dann Teilnehmende, die zwar eine Operation, aber keine Misteltherapie erhalten hatten.

Die Zuteilung zu den Gruppen erfolgte nur in wenigen Studien nach dem Zufallsprinzip. Das kann die Ergebnisse verzerrt haben. Zudem waren sämtliche Studien von mittlerer bis schlechter Qualität.

Kein Effekt auf die Überlebenszeit

Von den 14 analysierten Studien zeigten 9 Studien keinen Effekt auf die Überlebenszeit der Teilnehmenden. Vor allem in den besser durchgeführten und daher aussagekräftigeren Studienlebten die Teilnehmenden mit Mistel-Therapie nicht länger als ohne. Dennoch kann das Autorenteam der Übersichtsarbeit daraus keine eindeutigen Schlüsse ziehen. Zu widersprüchlich und wenig verlässlich sind die vorhandenen Ergebnisse.

Mehr Lebensqualität durch Misteltherapie?

Die zwei anderen Übersichtsarbeiten [2,3] fassten die Ergebnisse von 11, beziehungsweise 26 einzelnen Studien zusammen. In die erste Übersichtsarbeit [2] flossen die Daten von rund 2.000 Teilnehmenden ein, in die zweiten die von rund 3.000 Teilnehmenden [3]. Dass die beiden Übersichtsarbeiten unterschiedlich viele Studien berücksichtigten, dürfte an den unterschiedlich strengen Auswahlkriterien der Autorenteams liegen.
Auch hier waren die Teilnehmenden an unterschiedlichen Krebsarten erkrankt. Sie erhielten ebenfalls entweder die übliche Therapie (Kontrollgruppe) oder zusätzlich dazu eine Misteltherapie. In manchen Studien erhielt die Kontrollgruppe ein ähnlich aussehendes Schein-Medikament (Placebo).

Placebo-Effekt möglich

Mittels Fragebögen gaben die Teilnehmenden Auskunft über ihr körperliches und psychisches Befinden, und wie gut sie ihren Alltag meistern können. Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass sich jene Teilnehmenden besser fühlten, die eine Misteltherapie erhalten hatten. In der ersten Arbeit [2] zeigten 8 von 11 Studien einen positiven Effekt der Misteltherapie; in der zweiten Arbeit [3] nur die Hälfte der analysierten Studien, nämlich 13 von 26.

Dabei gab es allerdings ein großes Problem: In allen Studien bis auf drei wussten die Teilnehmenden, ob sie Misteltherapie erhielten oder nicht. Da sie das Ausmaß ihres Wohlbefindens selbst einschätzten, ist es möglich, dass der Placebo-Effekt dafür verantwortlich war und nicht das Mistel-Extrakt. So kann bereits die Hoffnung in die Therapie und die Erwartung einer Besserung geholfen haben.

Zudem waren die verwendeten Fragebögen sehr unterschiedlich und schwer miteinander vergleichbar. Auch die Dauer der Studien variierte stark, nämlich von drei Monaten bis zu drei Jahren. Der Großteil der Studien war zudem methodisch schlecht durchgeführt. Das Vertrauen darin, dass tatsächlich die Misteltherapie für die höhere Lebensqualität der Teilnehmenden verantwortlich war, ist deshalb gering.

In einer der beiden Übersichtsarbeiten [3] führte das Forschungsteam eine zusätzliche Auswertung durch, bei der es nur die Ergebnisse der methodisch gut durchgeführten Studien berücksichtigte. Das Ergebnis dieser sogenannten Subgruppen-Analyse: Der positive Effekt der Misteltherapie war nicht mehr nachweisbar.

Viele Studien, keine Antworten

In Summe konnte damit keine Studie klare Hinweise auf eine Wirksamkeit der Misteltherapie geben. Zum selben Schluss kam auch eine umfangreiche systematische Übersichtsarbeit des unabhängigen Wissenschaftsnetzwerkes Cochrane aus dem Jahr 2008. Die Übersichtsarbeit geht ebenso den Fragen nach, ob eine Misteltherapie die Überlebenschancen oder die Lebensqualität verbessert oder das Tumorwachstum beeinflussen kann. Doch auch das Forschungsteam dieser Arbeit kam zu dem Schluss, dass die Studienlage keine eindeutige Einschätzung zulässt [4].

 

Versionsgeschichte:

  • 1.7.2014: Erste Version dieses Artikels veröffentlicht.
  • 8.6.2017: Eine Suche nach neuen Studien brachte geringfügige inhaltliche Ergänzungen; an unserer Einschätzung hat sich nichts geändert.
  • 23.12.2021: Bei einer neuerlichen Suche nach neuen Studien fanden wir drei aktuelle Übersichtsarbeiten, die zum selben Ergebnis kommen. Der Text wurde aktualisiert, unsere Einschätzung bleibt dieselbe.

[1] Freuding u.a. (2019)
Studientyp: Systematische Übersichtsarbeit
Eingeschlossene Studien: 14 kontrollierte Studien
Fragestellung: Verlangsamt oder verhindert Misteltherapie das Fortschreiten einer Krebserkrankung und kann sie die Überlebenszeit verlängern?
Interessenskonflikte: keine laut Autorenteam

Freuding, M., Keinki, C., Micke, O., Buentzel, J., & Huebner, J. (2019). Mistletoe in oncological treatment: a systematic review : Part 1: survival and safety. J Cancer Res Clin Oncol, 145(3), 695-707. (Studie in voller Länge)

[2] Freuding u.a. (2019)
Studientyp: Systematische Übersichtsarbeit
Eingeschlossene Studien: 17 kontrollierte Studien
Fragestellung: Verbessert Misteltherapie das Wohlbefinden und die Lebensqualität von Krebspatientinnen und -patienten?
Interessenskonflikte: keine laut Autorenteam

Freuding, M., Keinki, C., Kutschan, S., Micke, O., Buentzel, J., & Huebner, J. (2019). Mistletoe in oncological treatment: a systematic review : Part 2: quality of life and toxicity of cancer treatment. J Cancer Res Clin Oncol, 145(4), 927-939. (Studie in voller Länge)

[3] Loef & Walach (2020)
Studientyp: Systematische Übersichtsarbeit
Eingeschlossene Studien: 26 kontrollierte Studien
Fragestellung: Verbessert Misteltherapie das Wohlbefinden und die Lebensqualität von Krebspatientinnen und -patienten?
Interessenskonflikte: keine laut Autorenteam

Loef, M., & Walach, H. (2020). Quality of life in cancer patients treated with mistletoe: a systematic review and meta-analysis. BMC Complement Med Ther, 20(1), 227. (Studie in voller Länge)

[4] Horneber u.a. (2008)
Horneber, M., van Ackeren, G., Linde, K., & Rostock, M. (2008). Mistletoe therapy in oncology. Cochrane Database of Systematic Reviews. (Studie in voller Länge)

[5] Deutscher Krebsinformationsdienst
Abgerufen am 23.12.2021 unter www.krebsinformationsdienst.de

[6] UpToDate (2021)
Edzard Ernst: Complementary and alternative therapies for cancer. Abgerufen am 23.12.2021 unter www.uptodate.com

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