Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert.

Methadon: Wirkung gegen Krebs nicht belegt

Methadon ist nicht nur Drogenersatz, Einzelne sehen darin auch Hoffnung im Kampf gegen Krebs. Bisher ist jedoch unklar, ob Methadon diese Erwartung erfüllen kann.

AutorIn:
Review:  Anna Glechner 

Kann Methadon die Wirkung einer Chemotherapie oder einer anderen Krebsbehandlungen verstärken und helfen, Krebs zu heilen?

Bisher wurde dies nicht in wissenschaftlichen Studien überprüft.

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© prudkov - fotolia.com Medienberichte über Methadon schüren bei vielen Krebskranken Hoffnung
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Aus der Drogenersatztherapie ist Methadon heute nicht mehr wegzudenken. In speziellen Betreuungsprogrammen können Süchtige die Substanz an Stelle von Heroin erhalten. Das hilft ihnen, der Drogenszene zu entkommen [2]. Methadon kann aber nicht nur Suchtkranken helfen: es kann auch starke Schmerzen bei Menschen lindern, die an Krebs in einem fortgeschrittenen Stadium leiden [3].

Medienberichten zufolge soll der Stoff jedoch nicht nur durch Krebs verursachte Schmerzen bessern, sondern Krebs auch direkt bekämpfen. Angeblich könne Methadon die Wirkung einer Chemotherapie verstärken und auf diese Art Krebsgeschwüren den Garaus machen. Den Berichten zufolge soll eine Behandlung mit Methadon bereits zahlreiche Menschen erfolgreich vom Krebs geheilt haben.

Wirkung von Methadon gegen Krebs nur Vermutung

Auf wissenschaftliche Fakten können sich solch euphorische Meldungen jedoch nicht stützen. Denn bisher ist wissenschaftlich nicht untersucht, ob Methadon tatsächlich die Überlebenschancen von Krebskranken erhöhen kann.

Zwar gibt es positiv klingende Einzelfälle: Eine deutsche Forschungsgruppe hat eine Fallserie an 27 Patientinnen und Patienten veröffentlicht, die an einem Hirntumor erkrankt waren. Um den Krebs neben ihrer Standardbehandlung wie Chemotherapie oder Bestrahlung zu bekämpfen, bekamen sie zusätzlich Methadon. Bei 22 der so Behandelten hat sich der Hirntumor innerhalb von sechs Monaten zumindest nicht weiter verschlimmert [1]. Es könnte jedoch sein, dass dies nur die Wirkung der gleichzeitig durchgeführten, herkömmlichen Krebstherapie war und die Behandlung ohne Methadon ebenso erfolgreich gewesen wäre.

Methadon gegen Krebs: Die fehlende Studie

Klären ließe sich diese Frage nur durch den Vergleich mit einer Standard-Krebsbehandlung ohne zusätzliches Methadon. In einer idealen Studie gäbe es daher zwei Gruppen, denen die teilnehmenden Personen nach dem Zufallsprinzip zugelost würden. Während alle Teilnehmenden eine Standardbehandlung wie zum Beispiel Chemotherapie oder Bestrahlung erhielten, bekäme nur die erste Gruppe zusätzlich Methadon. Die zweite Gruppe wäre die Vergleichsgruppe und erhielte statt Methadon nur ein Scheinmedikament (Placebo).

Wäre nach einiger Zeit die Anzahl der Todesfälle in der Methadon-Gruppe merkbar kleiner als in der Vergleichsgruppe, wäre das ein klarer Beweis für die direkte Wirksamkeit von Methadon gegen Krebs. In diesem Fall würde die Studie gestoppt, damit auch die übrigen Krebskranken eine Behandlung mit Methadon erhalten. Gäbe es hingegen keinen Unterschied, wäre klar, dass Methadon doch keine Anti-Krebs-Wirkung besitzt.

Starkes Schmerzmittel mit Nebenwirkungen

Methadon und ähnlich wirkende Substanzen (sogenannte Opioide) können selbst starke Schmerzen lindern, wie sie etwa bei fortgeschrittenen Krebserkrankungen auftreten können. Sie sind deshalb als Medikamente nicht aus der Medizin wegzudenken. Dennoch haben sie starke Nebenwirkungen.

Wird die Einnahme von Methadon nicht durch einen Arzt oder eine Ärztin überwacht, kann es unter Umständen zu einer Überdosierung und damit zu einer tödlichen Atemlähmung kommen. Doch auch bei ärztlich überwachter Anwendung in der Klinik treten häufig Benommenheit bis hin zu geistiger Verwirrtheit auf, sowie Verstopfung, Juckreiz und gerade zu Beginn der Behandlung auch Übelkeit und Erbrechen. Weitere mögliche Nebenwirkungen sind ein verringertes sexuelles Interesse, Schwierigkeiten beim Wasserlassen sowie Muskelkrämpfe. In seltenen Fällen kann Methadon zu lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen führen [3-5]. Zudem verursacht Methadon eine starke körperliche Abhängigkeit, die beim Absetzen sehr unangenehme Entzugserscheinungen verursacht.

Die Theorie dahinter

In der Theorie hört sich die eventuell krebshemmende Wirkung von Methadon durchaus plausibel an. So hat eine deutsche Forscherin mit ihrer Arbeitsgruppe herausgefunden, dass Methadon in Reagenzglas-Versuchen Krebszellen empfindlicher für die wachstumshemmende Wirkung von Chemotherapie-Substanzen macht. Zusätzlich scheint Methadon zumindest in Laborexperimenten die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass Krebszellen absterben [1]. Ob das nicht nur im Reagenzglas, sondern auch im Körper von Krebspatienten und -patientinnen funktioniert, ist jedoch unklar. Häufig wirkt eine Arznei im menschlichen Körper mit seinem komplexen Stoffwechsel ganz anders als zuvor im Labor.

Methadon als Drogenersatz

Die Wirkung von Methadon ist verwandt mit jener der Drogen Heroin und Morphin. Gemeinsam ist diesen Substanzen nicht nur die stark schmerzstillende Wirkung, wegen der beispielsweise Methadon und Morphin in der Medizin unerlässlich sind. Die von Fachleuten mit dem Sammelbegriff Opioide bezeichneten Substanzen wirken auch berauschend.

Der Name „Opioide“ kommt vom Wort „Opium“, der Bezeichnung für den getrockneten Milchsaft der Schlafmohnkapsel. Der Hauptbestandteil des in manchen Ländern als Droge gerauchten Opiums ist Morphin. Heroin ist chemisch verändertes Morphin.

Die Wirkung von Methadon hält viel länger an als die anderer Opioide und verhindert zudem bei Heroinsüchtigen das Verlangen nach ihrer Droge. Zudem schwächt es das durch Heroin verursachte Wohlgefühl ab. Daher eignet es sich sehr gut für die Drogenersatztherapie, bei der Abhängige im Rahmen einer umfassenden Betreuung Methadon anstelle des bisher konsumierten Heroins erhalten [2].

Die Studien im Detail

In einer 2017 veröffentlichten Fallserie [1] führt ein wissenschaftliches Team in Deutschland 27 Patientinnen und Patienten an, die am Hirntumor Glioblastom leiden. Zusätzlich zur Standardbehandlung wie Chemotherapie oder Bestrahlung bekamen die Betroffenen Methadon verschrieben – und zwar nicht zur Behandlung von Schmerzen, sondern um die Wirksamkeit des Opioids auf das Fortschreiten der Krebserkrankung zu untersuchen.

Bei insgesamt 22 der teilnehmenden Personen war der Tumor zumindest sechs Monate lang nicht weiter gewachsen. Die Autorin und ihr Team greifen besonders eine Untergruppe von 13 Behandelten heraus, bei denen die Krebserkrankung zum ersten Mal aufgetreten war. Ein halbes Jahr später war die Erkrankung bei elf Personen nicht weiter fortgeschritten. Die Hauptautorin und ihr Team stellen auch einen Vergleich zu 26 Patientinnen und Patienten an, die über drei Jahre hinweg an derselben Klinik ohne Methadon behandelt worden waren. Bei diesen hatte sich der Hirntumor sechs Monate nach der Diagnose nur bei rund der Hälfte der Betroffenen (54 Prozent) nach sechs Monaten nicht verschlimmert.

Das Problem ist jedoch, dass diese 26 Personen ursprünglich nicht Teil der Untersuchung waren. Somit sind sie nicht mit den Methadon-Behandelten vergleichbar, weil sie möglicherweise andere Therapien bekommen haben. Abgesehen davon ist die Anzahl der Untersuchten viel zu gering, um Zufalls-Unterschiede ausschließen zu können.

Nötig wäre daher eine Studie, die zwei Gruppen von Krebskranken mit ähnlichen Merkmalen vergleicht. Wichtig ist, dass allein der Zufall darüber entscheidet, welche Teilnehmenden welcher Gruppe zugeteilt werden. Die beiden Gruppen würden dieselbe Standard-Krebsbehandlung erhalten. Sie sollten sich lediglich dadurch unterscheiden, dass eine Gruppe zusätzlich Methadon erhält, während die andere ein Scheinpräparat bekommt. Um den Einfluss von Erwartungen auszuchließen, sollten weder die Erkrankten noch die Studienleitung vor Ende der Studie wissen, wer welcher Gruppe zugeteilt worden ist.

[1] Onken u.a. (2017)
Studienart: Fallserie
Teilnehmer: 27 Personen mit Hirntumor (Glioblastom)
Studiendauer: 6 Monate (rückblickende Betrachtung)
Fragestellung: Erhöht Methadon in Kombination mit üblicher Krebsbehandlung die Wahrscheinlichkeit, dass der Tumor nach 6 Monaten nicht weiter fortgeschritten ist?
Interessenskonflikte: keine laut Autorinnen und Autoren

Onken J, Friesen C, Vajkoczy P, Misch M. Safety and Tolerance of D,L-Methadone in Combination with Chemotherapy in Patients with Glioma. Anticancer Res. 2017 Mar;37(3):1227-1235. (Fallserie in voller Länge)

Weitere wissenschaftliche Quellen

[2] UpToDate (2017)
Strain E (2017). Pharmacotherapy for opioid use disorder. In Hermann R (ed.). UpToDate. Zugriff am 12. 7. 2017 unter www.uptodate.com/contents/pharmacotherapy-for-opioid-use-disorder

[3] UpToDate (2017)
Portenoy RK, Mehta Z, Ahmed E. Cancer pain management with opioids: Optimizing analgesia. In Savarese DMF (ed.). UpToDate. Zugriff am 12. 7. 2017 unter www.uptodate.com/contents/cancer-pain-management-with-opioids-optimizing-analgesia

[4] UpToDate (2017)
Portenoy RK, Mehta Z, Ahmed E. Cancer pain management with opioids: Prevention and management of side effects. In Savarese DMF (ed.). UpToDate. Zugriff am 12. 7. 2017 unter www.uptodate.com/contents/cancer-pain-management-with-opioids-prevention-and-management-of-side-effects

[5] UpToDate (2017)
Methadone: Drug information. UpToDate. Zugriff am 13. 7. 2017 unter www.uptodate.com/contents/methadone-drug-information

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