Startseite ● Hilft Kokosöl bei Alzheimer? Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert. Hilft Kokosöl bei Alzheimer? In der Werbung gilt Kokosöl nicht nur als die gesunde Alternative zu anderen Ölen, sondern soll auch gegen Alzheimer helfen. Aber stimmt das auch? 07. April 2016 AutorIn: Iris Hinneburg Review: Bernd Kerschner Claudia Christof Teilen Verbessert die Einnahme von Kokosöl die geistigen Fähigkeiten bei einer Demenz wie Alzheimer? wissenschaftliche Belege fehlen Wir konnten nur eine einzige klinische Studie zum Einsatz von Kokosöl bei Alzheimer finden. Diese war von so schlechter Qualität, dass keine gesicherte Aussage möglich ist. so arbeiten wir Öl aus der Kokosnuss: Garant für geistige Gesundheit im Alter? © Aaron Amat – fotolia.com Nach Schätzungen der Österreichischen Alzheimer Gesellschaft [2] leiden derzeit etwa 100.000 Menschen in Österreich an einer Demenz wie Alzheimer – Tendenz steigend. Trotz intensiven Bemühungen in der Forschung gibt es bisher noch keine Medikamente, die die Krankheit längerfristig aufhalten, geschweige denn heilen können [3]. Betroffene und ihre Angehörigen suchen ihr Heil dann häufig in alternativen Behandlungsformen, die Gedächtnisleistung und Orientierung verbessern und den Krankheitsverlauf verlangsamen sollen. Zu solchen Mitteln zählt auch Kokosöl, das auf diversen Internetseiten gegen Alzheimer angepriesen wird. Beworben wird vor allem kaltgepresstes Kokosöl, das aus der Kokosnuss gewonnen wird. Im Gegensatz zu dem küchenüblichen Kokosfett wird es nach der Pressung nicht gehärtet und ist deshalb schon ab etwa 25 Grad Celsius flüssig. Gesund trotz gesättigter Fettsäuren? Welche Inhaltsstoffe sollen für den gesundheitlichen Nutzen von Kokosöl verantwortlich sein? Paradoxerweise enthält das Öl vor allem gesättigte Fettsäuren, die eigentlich im Verdacht stehen, das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu erhöhen. Auch wenn eine neuere Zusammenfassung von Studien den Zusammenhang nicht definitiv bestätigen konnte [4], ist es für Patienten mit erhöhtem Risiko empfehlenswert, weniger gesättigte Fettsäuren zu sich zu nehmen [5]. Allerdings weisen die Fettsäuren im Kokosöl eine Besonderheit auf: Chemisch bestehen Fettsäuren aus einer Kette von Kohlenstoffatomen. Bei etwa zwei Dritteln der Fettsäuren im Kokosöl ist diese Kette relativ kurz, die entsprechenden Fette werden deshalb auch als mittelkettige Triglyceride (MCT) bezeichnet. Diese sollen sich gesundheitlich von Fetten mit längerkettigen Fettsäuren deutlich unterscheiden [6]. Die Keton-Hypothese Bei Alzheimer und anderen Demenzerkrankungen sollen MCT Vorteile für das Gehirn bieten: Normalerweise nutzt das Gehirn für die Energiegewinnung fast ausschließlich Traubenzucker (Glucose). Einige Forscher vermuten, dass bei einer Demenz wie Alzheimer das Gehirn den Traubenzucker nicht verwerten kann, zu wenig Energie bekommt und dadurch auch zum Beispiel die Gedächtnisleistung abnimmt. Ihre Idee besteht darin, dem Gehirn einen anderen „Treibstoff“ anzubieten, den es nutzen kann, nämlich die sogenannten Ketonkörper. Diese entstehen im Körper etwa bei der Verstoffwechselung von MCT in der Leber [6]. Der Körper bildet Ketonkörper besonders in Hungerzeiten oder beim Fasten, wenn er vermehrt Fett abbaut. Während dieser Zeit sind sie eine wichtige Energiequelle für das Gehirn. Hinweise auf einen positiven Effekt hat eine Studie gezeigt, in der Forscher bei einigen Patienten mit Alzheimer eine verbesserte Gedächtnisleistung nach der Einnahme von MCT feststellten. Da die Studie jedoch einige methodische Schwächen aufweist, nur wenige Patienten umfasste und es sich nur um eine Momentaufnahme zu einem einzigen Zeitpunkt handelt, lassen sich aus dieser Untersuchung jedoch keine verlässlichen Schlussfolgerungen ziehen [7]. Kokosöl bei Alzheimer schlecht untersucht Eine Firma in den USA vermarktet einen Bestandteil des Kokosöls (Capryliden) als medizinisches Lebensmittel bei Alzheimer. Die Wirksamkeit wurde in zwei kleineren Studien untersucht, die jedoch einen Nutzen nicht klar nachweisen konnten [8,9]. Allerdings hielt das den Hersteller nicht von übertriebenen Behauptungen ab, wofür er vor einigen Jahren eine Rüge der amerikanischen Überwachungsbehörde FDA erhielt [10]. Für Kokosöl selbst konnten wir nur eine einzige Studie finden, die den Nutzen bei Patienten mit Alzheimer untersuchte [1]. Hier fanden sich zwar positive Effekte im Vergleich zu einem Scheinmedikament. Die Studie selbst ist jedoch so schlecht gemacht, dass sich keine verlässlichen Aussagen daraus ableiten lassen. Auch bleibt es unklar, ob sich der zahlenmäßige Vorteil für die Patienten im Alltag auch tatsächlich bemerkbar macht. Derzeit läuft in den USA gerade eine Studie für ein weiteres Mittel mit Kokosöl, das an Alzheimer-Patienten untersucht wird. Mit den Ergebnissen ist jedoch nicht vor 2017 zu rechnen [11]. Kein Nachweis mit Anekdoten In der Werbung wird häufig auf einen Fallbericht eines Alzheimer-Patienten verwiesen, dessen Symptome sich nach der Einnahme von Kokosöl deutlich verbesserten [12]. Solche Arten von Studien haben aber eine Reihe von Problemen: Wird nur ein einziger Patient untersucht, lässt sich nicht sicher sagen, ob die Ergebnisse tatsächlich auf andere Patienten übertragbar sind. Da sich die Symptome bei Alzheimer durchaus für kurze Zeit bessern können, lässt sich mit der Vorher-Nachher-Betrachtung auch nicht unterscheiden, ob die beobachtete Veränderung tatsächlich durch das Kokosöl oder nicht doch durch andere Faktoren entsteht. Um solche Effekte sicher ausschließen zu können, wäre ein Vergleich mit ähnlichen Patienten notwendig, die nicht mit Kokosöl behandelt werden. Die Studien im Detail In der Studie [1] wurde die Wirksamkeit von Kokosöl an Patienten zwischen 65 und 80 Jahren mit einer Alzheimer-Demenz untersucht, die in einem Pflegeheim lebten. 22 Patienten erhielten drei Wochen lang zweimal täglich 20 Milliliter Kokosöl zu einer Mahlzeit, 22 Patienten wurden zum Vergleich nicht speziell behandelt. Die Forscher untersuchten, wie sich die geistigen Fähigkeiten am Ende der Studie im Vergleich zum Zustand vorher entwickelt hatten. In der Gruppe, die Kokosöl eingenommen hatte, verbesserten sich die geistigen Fähigkeiten, während sie in der Vergleichsgruppe konstant blieben. Allerdings wird das positive Resultat durch methodische Mängel eingeschränkt, die möglicherweise das Ergebnis der Studie beeinflusst haben könnten: So wussten die Patienten, ob sie Kokosöl erhielten, was ihre Haltung und möglicherweise auch ihre Motivation zur Mitarbeit bei den Tests beeinflusst haben könnte. Ob die Mitarbeiter des Pflegeheims, die die geistigen Fähigkeiten testeten, von der Gruppenzugehörigkeit wussten, wird in der Studie nicht erwähnt. Auch fehlen Angaben dazu, ob die Patienten zu Beginn der Studie tatsächlich vergleichbar waren. Die geringe Teilnehmerzahl und die kurze Laufzeit schränken die Aussagekraft der Studie weiter ein. Schließlich finden sich auch keine Angaben dazu, ob der gefundene Unterschied in den geistigen Fähigkeiten es den Patienten tatsächlich erleichtert, ihren Alltag zu bewältigen oder ihre sozialen Beziehungen verbessert. Wissenschaftliche Quellen [1] Hu Yang 2015 Studienart: Kohortenstudie Fragestellung: Verbessert die Einnahme von Kokosöl die Denkleistung von Patienten mit Alzheimer-Demenz? Teilnehmer: 44 Patienten mit Alzheimer-Demenz zwischen 65 und 85 in speziellen Pflegeheimen Interessenkonflikte: Keine Angabe. Studie wurde von einer Stiftung unterstützt, die die biologische Landwirtschaft fördert. Hu Yang I u.a. Aceite de coco: tratamiento alternativo no farmacológico frente a la enfermedad de Alzheimer. Nutr Hosp 2015; 32:2822-7 (Studie in voller Länge) Weitere Quellen [2] Österreichische Alzheimer-Gesellschaft Zahlen und Statistik. Abgerufen am 6. 4. 2016 unter http://www.alzheimer-gesellschaft.at/index.php?id=46 [3] IQWIG (2013) Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (2013). Alzheimer-Demenz. Abgerufen am 5. 4. 2016 unter: https://www.gesundheitsinformation.de/alzheimer-demenz.2219.de.html [4] De Souza u.a. (2015) De Souza RJ u.a. Intake of saturated and trans unsaturated fatty acids and risk of all cause mortality, cardiovascular disease, and type 2 diabetes: systematic review and meta-analysis of observational studies. BMJ 2015; 351:h3978 (Zusammenfassung) [5] Hooper u.a. (2015) Hooper L u.a. Reduction in saturated fat intake for cardiovascular disease. Cochrane Database Syst Rev. 2015, CD011737 (Zusammenfassung) [6] Fernando u.a. (2015) Fernando WM u.a. The role of dietary coconut for the prevention and treatment of Alzheimer’s disease: potential mechanisms of action. Br J Nutr. 2015; 114:1-14 (Zusammenfassung) [7] Reger u.a. (2004) Reger M u.a. Effects of beta-hydroxybutyrate on cognition in memory-impaired adults. Neurobiol Aging 2004; 25:311-4. (Zusammenfassung) [8] Henderson u.a (2009) Henderson S u.a. Study of the ketogenic agent AC-1202 in mild to moderate Alzheimer’s disease: a randomized, double-blind, placebo-controlled, multicenter trial. Nutr Metab (Lond) 2009; 6:31. (Studie in voller Länge) [9] Ohnuma u.a. (2016) Ohnuma T u.a. Benefits of use, and tolerance of, medium-chain triglyceride medical food in the management of Japanese patients with Alzheimer’s disease: a prospective, open-label pilot study. Clin Interv Aging 2016; 11:29-36. (Studie in voller Länge) [10] FDA (2013) US Food and Drug Administration. Warning Letter Axona. Abgerufen am 5. 4. 2016 unter: www.fda.gov/ICECI/EnforcementActions/WarningLetters/2013/ucm381320.htm [11] ClinicalTrials.gov Studienregister Clinicaltrials.gov. Study to Evaluate Coconut Oil for Alzheimer’s Disease. Abgerufen am 5. 4. 2016 unter clinicaltrials.gov/show/NCT01883648 [12] Doti (2012) Doti L. Coconut Oil for Alzheimer’s Disease? Clinical Practice 2012; 1: 12-17 (Studie in voller Länge) Schlagworte AlterAlzheimer-DemenzDemenzfettFettsäurenGedächtnisstörungenGehirnKokosölNahrungsergänzungsmittelPsyche und GemütSuperfood In über 500 Faktenchecks suchen