Startseite ● Blutgruppe und Demenz: Zusammenhang nicht belegt Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert. Blutgruppe und Demenz: Zusammenhang nicht belegt Erkranken Personen mit der Blutgruppe AB eher an Demenz? Bisherige Studien konnten das nicht belegen. 31. August 2020 AutorIn: Jana Meixner Review: Bernd Kerschner Julia Harlfinger Teilen Haben Menschen mit der Blutgruppe AB ein höheres Risiko, an Demenz zu erkranken? möglicherweise nicht Das Demenz-Risiko scheint für Menschen aller vier Blutgruppen (A, B, AB, 0) ähnlich hoch zu sein. Das zeigten zwei Studien, die Daten von über 9000 Betroffenen auswerteten. Die in den Medien verbreitete Behauptung, die Blutgruppe AB erhöhe das Risiko für Demenz, dürfte so also nicht stimmen. so arbeiten wir Bestimmt die Blutgruppe das Schicksal? Nicht, wenn es um Demenz geht. © Olena Yakobchuk – shutterstock.com Seine Blutgruppe kann man sich nicht aussuchen. Spezielle Moleküle auf den roten Blutkörperchen bestimmen, ob ein Mensch die Blutgruppe A, B, AB oder 0 hat. Das ist wichtig, wenn eine Bluttransfusion, also eine Spende von fremdem Blut, notwendig wird. Spiet die Blutgruppe auch noch in anderen Bereichen der Gesundheit eine Rolle? Ihr möglicher Einfluss treibt die Wissenschaft um – aber auch die Medien. Immer wieder wird spekuliert, ob manche Blutgruppen anfälliger für bestimmte Krankheiten machen, aktuell etwa Covid-19. Manche behaupten auch, dass die Ernährung in Abstimmung auf die Blutgruppe zusammengesetzt sein soll. Ein Mythos, wie sich herausstellte (https://www.medizin-transparent.at/blutgruppendiaet/). Eine Studie soll nun einen Zusammenhang zwischen der Blutgruppe AB und dem Risiko für Demenz-Erkrankungen entdeckt haben. Das haben zumindest diverse Medien berichtet. Uns erreichte die Anfrage eines besorgten Lesers, ob diese Behauptung denn richtig sei. Kein Zusammenhang zwischen Blutgruppe und Demenz Wir fanden zwei Studien, die untersuchten, ob manche Blutgruppen bei Menschen mit diagnostizierter Demenz häufiger vorkommen als in der gesunden Durchschnittsbevölkerung [1,2]. Dabei wurden die Daten von außerordentlich vielen Menschen analysiert, nämlich von insgesamt mehr als eineinhalb Millionen. Die Forschungsteams überprüften die Blutgruppen von 9215 Patientinnen und Patienten mit Demenz und verglichen diese mit jenen von 1.610.118 Personen ohne Demenz. Das Ergebnis: Keine der vier bekannten Blutgruppen war bei den Personen mit Demenz auffällig häufig vertreten. Die vier Blutgruppen A, B, AB und 0 waren bei den Demenzkranken ähnlich verteilt wie unter der gesunden Durchschnittsbevölkerung. Zusammenhang möglich, aber indirekt Eine dritte Studie aus den USA kam zu einem auf den ersten Blick gegensätzlichen Ergebnis [3]. Demnach soll Blutgruppe AB die Entstehung von Demenz begünstigen – was die Medien aufgegriffen haben. Das Forschungsteam der Studie untersuchte die geistige Leistungsfähigkeit bei insgesamt 1082 Menschen und verglich die Ergebnisse mit deren Blutgruppen. Dabei entwickelten laut Studienteam jene Menschen mit der Blutgruppe AB im Laufe der Studie etwas häufiger kognitive Probleme als jene mit der Blutgruppe 0. Blutgruppe AB: keine Panik Allerdings bedeuten schlechte Ergebnisse bei Denk- und Gedächtnisaufgaben nicht automatisch, dass sich eine Demenz anbahnt. Ob die Blutgruppe AB zu einer Demenz-Erkrankung führt, wurde in dieser Studie gar nicht untersucht. Zudem wurden die Tests mit den Teilnehmenden über das Telefon durchgeführt – möglicherweise sind die Ergebnisse nicht sehr verlässlich. Bei genauerem Hinsehen stellte das Team außerdem fest, dass Personen mit der Blutgruppe AB häufiger verschiedene Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes hatten. Sie waren auch häufiger stark übergewichtig und rauchten. Diese Faktoren können die Wahrscheinlichkeit für Demenz, mangelhafte Durchblutung des Gehirns und Schlaganfälle erhöhen – sie sind Risikofaktoren [4,5]. Die Studie liefert also keinen Hinweis darauf, dass die Blutgruppe direkt für die geistigen Beeinträchtigungen verantwortlich war. Vielmehr könnte es einen versteckten Zusammenhang zwischen der Blutgruppe und der Entwicklung von Risikofaktoren geben, der noch unzureichend erforscht ist. Blutgruppe AB zu haben, besiegelt also keineswegs das Schicksal der grauen Zellen. Gefahren fürs Gehirn Bekannte Risikofaktoren können die Wahrscheinlichkeit für Demenz, Schlaganfälle und andere Schädigungen des Gehirns erhöhen – egal welche Blutgruppe man hat. Zu diesen Risikofaktoren zählen zum Beispiel Bluthochdruck, Arteriosklerose, Diabetes, Rauchen oder Übergewicht [5]. Verlässliche Informationen zu Demenz vom Typ Alzheimer finden Sie auf Gesundheitsinformation.de. Eine Rarität: Die Blutgruppe AB Welcher Blutgruppe man angehört, bestimmen winzige Moleküle, die auf der Oberfläche der roten Blutkörperchen sitzen. Die Blutkörperchen mancher Menschen tragen ein spezielles Molekül, das den Namen A erhalten hat; manche solche mit dem Molekül B. Wenige Menschen tragen beide Moleküle und damit die seltenste Blutgruppe, nämlich AB. Sitzt keines der beiden Moleküle auf den Blutkörperchen, spricht man von der Blutgruppe 0. Weltweit ist diese Form am häufigsten – etwa 45 Prozent tragen die Blutgruppe 0; gefolgt von A (40%), B (10%) und AB (5%) [6]. Die Einteilung in vier Blutgruppen ist die älteste und bekannteste – aber keinesfalls die einzige. Seit ihrer Entdeckung um 1900 durch den österreichischen Mediziner Karl Landsteiner sind noch etwa dreißig andere Blutgruppenmerkmale beschrieben worden. Dazu zählt auch der Rhesusfaktor, der bestimmt, ob man „positiv“ oder „negativ“ ist. Abgesehen vom Rhesusfaktor, spielen diese Merkmale in der Medizin allerdings eine eher untergeordnete Rolle. Blutgruppe und Gesundheit: Vieles im Dunkeln Schon lange besteht die Vermutung, der Einfluss der Blutgruppen könnte weit über das Blut hinausgehen. Dabei handelt es sich keineswegs um moderne Wahrsagerei: Für manche Erkrankungen könnte die Blutgruppe durchaus eine Rolle spielen. So haben Menschen mit der Blutgruppe 0 deutlich geringere Mengen des sogenannten von-Willebrand-Faktors im Blut. Dieser Stoff ist für die Blutgerinnung mitverantwortlich. Gefäßverschlüsse durch Thrombosen scheinen dadurch bei diesen Menschen seltener zu sein. Das dürfte wiederum zu einem etwas verringertem Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen führen [4, 7]. Menschen mit der Blutgruppe A scheinen etwas häufiger an Magenkrebs zu erkranken als jene mit anderen Blutgruppen. Die Blutgruppe 0 dürfte resistenter gegen schwere Verläufe von Malaria machen [4]. Die Mechanismen, die hinter diesen Beobachtungen stecken könnten, liegen allerdings noch im Dunkeln. Blutgruppen: Wer mit wem kann Die Blutgruppe ist in der Medizin vor allem dann wichtig, wenn eine Spende von fremdem Blut notwendig wird, etwa bei Verletzungen mit starkem Blutverlust. Eine Bluttransfusion vom falschen Spender kann tödlich sein. Das Immunsystem „bekämpft“ dann die unbekannten Blutkörperchen und das Blut verklumpt in den Gefäßen. Denn jeder Mensch besitzt Antikörper gegen fremde Blutgruppen. Blut der Blutgruppe A enthält Antikörper gegen B und umgekehrt. Im Blut der Blutgruppe 0 sind sogar Antikörper gegen A und B enthalten. Nur die Blutgruppe AB bildet keine Antikörper. Menschen mit Blutgruppe AB können daher als einzige problemlos Spenden von allen Blutgruppen empfangen. Menschen mit der Blutgruppe 0 können uneingeschränkt allen Menschen Blut spenden, da niemand Antikörper gegen 0 hat. – Sie gelten als Universal-Spender. Die Studien im Detail Ein Forschungsteam wertete die Gesundheitsdaten von insgesamt 1 598 294 Personen in Dänemark und Schweden aus, die im Zeitraum 1968 bis 1989 Blut gespendet hatten [1]. Dafür werteten sie Aufzeichnungen aus Krankenhäusern, Ambulanzen und Arztpraxen aus. So wurden auch jene 9091 Spenderinnen und Spender erfasst, die irgendwann die Diagnose Demenz erhalte hatten. Dazu zählt sowohl die Demenz vom Alzheimer Typ, als auch die vaskuläre Demenz, die durch verminderte Durchblutung des Gehirns entsteht. Studie an über eineinhalb Millionen Menschen Dabei zeigte sich, dass unter den 9091 Erkrankten die vier Blutgruppen ähnlich verteilt waren wie unter den 1.5 Millionen Menschen, die nicht an Demenz erkrankt waren. Die Studie ist solide gemacht und bei einer so vielen Teilnehmenden ist unser Vertrauen ist das Ergebnis ziemlich hoch. Es ist aber theoretisch denkbar, dass unbekannte Einflussfaktoren das Ergebnis verzerrt haben. Außerdem ist die Schwankungsbreite der Daten relativ groß – trotz der großen Zahl der Teilnehmenden. Deshalb räumen wir dennoch eine gewisse Unsicherheit bei der Aussagekraft ein. Eine zweite kleinere Studie wurde 1985 in Großbritannien durchgeführt [2]. Die Autorin erhob die Blutgruppen von 124 Patientinnen und Patienten mit Demenz und verglich sie mit den Blutgruppen der gesunden Durchschnittsbevölkerung im Land – ohne auffälliges Ergebnis. Blutgruppe und Risikofaktoren: Um die Ecke gedacht Ein Forschungsteam aus den USA [3] wollte wissen, ob die Blutgruppe Einfluss auf die geistige Leistungsfähigkeit hat. Dazu führten sie mit 1082 Erwachsenen im Alter von durchschnittlich 65 Jahren Denkaufgaben und Gedächtnistests über das Telefon durch. Die Blutgruppen der Teilnehmenden waren aus einer anderen großen Studie bereits bekannt. Vierzig Monate lang überprüften die Forscherinnen und Forscher die geistige Leistungsfähigkeit der Teilnehmenden mit jeweils vier Wiederholungen des Tests. Am Ende hatten 495 Personen auffällige Testergebnisse. Unter ihnen waren überzufällig viele Personen mit der Blutgruppe AB. Dickeres Blut durch Blutgruppe AB? Das Team erhob allerdings nicht nur die Denkleistung, sondern auch Informationen zu sonstigen Erkrankungen wie Bluthochdruck oder Diabetes. Ebenso das Körpergewicht und ob jemand regelmäßig Zigaretten rauchte. Es zeigte sich, dass Personen mit beeinträchtigter Denkleistung deutlich häufiger auch Herzkreislauf-Erkrankungen und Diabetes hatten, rauchten oder stark übergewichtig waren. Die Überlegung des Forschungsteams: Aus anderen Studien geht hervor, dass Menschen mit der Blutgruppe AB größere Mengen bestimmter Blutgerinnungsfaktoren haben (von Willebrand-Faktor und Faktor VIII) als die Blutgruppe 0 – ihr Blut ist sozusagen „dicker“. Das wurde auch in den Ergebnissen dieser Studie bestätigt. Ein „dickeres“ Blut wiederum begünstigt Herz-Kreislauferkrankungen wie Herzinfarkt, Gefäßverschlüsse und Schlaganfälle. Diese Erkrankungen können die Durchblutung des Gehirns beeinträchtigen und dadurch zu Problemen mit der geistigen Leistungsfähigkeit führen. Hier muss also ein paarmal um die Ecke gedacht werden. Der direkte Schluss, die Blutgruppe AB erhöhe das Risiko für geistige Beeinträchtigung ist durch die Ergebnisse nicht belegt. Es könnte aber einen zugrundeliegenden Zusammenhang geben, der noch erforscht werden muss. Wissenschaftliche Quellen [1] Vasan u.a. (2015) Studientyp: Kohortenstudie Teilnehmende: 1 598 294 Blutspenderinnen und -spender Fragestellung: Entwickeln Menschen mit einer bestimmten Blutgruppe im Laufe ihres Lebens häufiger eine Demenzerkrankung? Möglicher Interessenskonflikt: Keiner angegeben Vasan SK, Rostgaard K, Ullum H, Melbye M, Hjalgrim H, Edgren G. ABO Blood Group and Dementia Risk–A Scandinavian Record-Linkage Study. PLoS One. 2015;10(6):e0129115. (Studie in voller Länge) [2] Renvoiz (1985) Studientyp: Fall-Kontroll-Studie Teilnehmende: 124 Personen mit diagnostizierter Demenzerkrankung Fragestellung: Sind unter Menschen mit einer Demenzerkrankung bestimmte Blutgruppen häufiger vertreten als in der Durchschnittsbevölkerung? Möglicher Interessenskonflikt: Keiner angegeben Renvoize EB. ABO and Rhesus blood groups in Alzheimer’s disease. Age Ageing. 1985;14(1):43-45. (Zusammenfassung der Studie) [3] Alexander u.a. (2014) Studientyp: Fall-Kontroll-Studie Teilnehmende: 1 082 Erwachsene Fragestellung: Haben Menschen mit einer bestimmten Blutgruppe häufiger Probleme mit Denkleistung und Gedächtnis? Möglicher Interessenskonflikt: Keiner laut AutorInnen Alexander KS, Zakai NA, Gillett S, McClure LA, Wadley V, Unverzagt F, Cushman M. ABO blood type, factor VIII, and incident cognitive impairment in the REGARDS cohort. Neurology. 2014 Sep 30;83(14):1271-6. (Studie in voller Länge) Andere Quellen [4] Liumbruno & Franchini (2013) Liumbruno, G. M., & Franchini, M. (2013). Beyond immunohaematology: the role of the ABO blood group in human diseases. Blood transfusion, 11(4), 491. (Arbeit in voller Länge) [5] Alzheimer-Demenz auf Gesundheitsinformation.de Abgerufen am 25.8.2020 unter https://www.gesundheitsinformation.de/alzheimer-demenz.2219.de.html [6] Amboss (2020). Blut und Blutzellen. Abgerufen am 24.8.2020 unter https://www.amboss.com/de/wissen/Blut_und_Blutzellen [7] UpToDate (2020). Uhl et al. Red blood cell antigens and antibodies. UpToDate. Abgerufen am 24.8.2020 unter https://www.uptodate.com/contents/red-blood-cell-antigens-and-antibodies Schlagworte BlutgruppeBlutgruppe ABDemenzDemenz-ErkrankungRote Blutkörperchen In über 500 Faktenchecks suchen