Startseite ● Molnupiravir: kaum Schutz bei schwerem Covid-19 Molnupiravir: kaum Schutz bei schwerem Covid-19 Molnupiravir dürfte geimpften Risikopersonen kaum helfen, einen schweren Covid-19-Verlauf zu verhindern. In der EU ist Molnupiravir nicht zugelassen. 02. März 2023 AutorIn: Iris Hinneburg Review: Bernd Kerschner Teilen Senkt Molnupiravir bei Geimpften das Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf von Covid-19 deutlich? wahrscheinlich nicht Bei Menschen, die durch eine Coronainfektion besonders gefährdet sind, hat Molnupiravir wahrscheinlich keinen großen Nutzen, wenn die Betroffenen bereits geimpft sind. Denn sowohl mit als auch ohne das Medikament war der Anteil der schwer Erkrankten und Verstorbenen in einer großen Studie ähnlich groß. Einen kleinen Nutzen können bisherige Daten jedoch nicht ausschließen. Bei Nicht-Geimpften ist unklar, ob Molnupiravir ihnen hilft. so arbeiten wir © Lucigerma – shutterstock.com Für manche Menschen bedeutet eine Infektion mit dem Coronavirus nicht nur Schnupfen, Fieber und dass sie sich schlapp fühlen. Besonders bei Älteren oder Menschen mit Vorerkrankungen kann es auch passieren, dass sie schwer erkranken, ins Krankenhaus müssen oder sogar an Covid-19 versterben. Medikamente, die das Coronavirus hemmen, sollen einen solchen schweren Verlauf verhindern. Dazu gehören etwa Paxlovid oder Molnupiravir. Wir haben uns angesehen, was zum Nutzen und den Risiken des Wirkstoffs bekannt ist. Im Februar 2023 hat die europäische Zulassungsbehörde EMA nach langer Beratung bekannt gegeben, dass das Medikament in der EU keine Zulassung erhält. Grund dafür ist, dass es keine ausreichenden Belege für einen Nutzen gibt [4]. Deshalb haben die zuständigen Behörden in Deutschland und Österreich die zuvorher bestehenden Ausnahmegenehmigungen für Molnupiravir widerrufen [6,7]. Großer Vorteil für Geimpfte unwahrscheinlich Wir stützen unsere Einschätzung zu Molnupiravir hauptsächlich auf zwei große Studien [1-3]. In einer davon nahmen Patientinnen und Patienten teil, die gegen Covid-19 geimpft waren [2]. Unter den Teilnehmenden kam es bei ähnlich vielen Menschen zu einem schweren Krankheitsverlauf von Covid-19, egal ob sie Molnupiravir eingenommen hatten oder nicht – nämlich bei jeweils 8 von 1000. Als schwerer Covid-19-Verlauf zählte dabei, wenn Infizierte ins Krankenhaus mussten oder starben. Auf Basis dieser Studie schätzen wir, dass Molnupiravir für Geimpfte wahrscheinlich keinen großen Nutzen hat. Dass das Mittel zumindest einen kleinen Vorteil bringt, kann sie jedoch nicht ausschließen. Nutzen für Nicht-Geimpfte? Anders sieht das in der zweiten Studie [3] aus, in der die Teilnehmenden nicht geimpft waren. Mit Molnupiravir kam es bei 68 von 1000 zu einem schweren Verlauf, mit Scheinmedikament (Placebo) bei 97 von 1000. Etwa 30 von 1000 Teilnehmenden blieb also durch Molnupiravir ein schwerer Verlauf erspart. Allerdings ist diese Schätzung relativ ungenau. Inwieweit die Ergebnisse der Studie mit Nicht-Geimpften [3] heute noch relevant sind, ist allerdings nicht ganz klar. Denn nur etwa 20 Prozent der Teilnehmenden hatten zuvor eine Corona-Infektion durchgemacht. Heutzutage dürfte das in Österreich und Deutschland auf viel mehr Menschen zutreffen. Inzwischen ist bekannt, dass eine Infektion mit dem Virus unter bestimmten Umständen einen ähnlichen Beitrag zum Immunschutz leistet wie eine Impfdosis. Wer heutzutage zwar nicht geimpft ist, aber bereits eine Corona-Infektion hinter sich hat, dürfte vermutlich seltener schwer erkranken als die meisten Teilnehmenden der Studie. Ob Molnupiravir dann noch einen merklichen Nutzen hat, lässt sich nicht sicher abschätzen. Hinzu kommt, dass während der Studie mit Nicht-Geimpften ältere Varianten des Coronavirus kursierten, die es heute nicht mehr gibt. Das stellt ebenfalls in Frage, wie weit sich die Studienergebnisse heute noch zutreffen. Im Gegensatz dazu infizierten sich die Teilnehmenden in der Geimpften-Studie [2] mit der Omikron-Variante, deren Unterarten auch heute noch Covid-19 auslösen. In den USA noch Mittel der Reserve Molnupiravir ähnelt einem Baustein des Erbguts von SARS-CoV-2. Das Virus baut den Wirkstoff deshalb in seinen genetischen Code ein, wenn es sich vermehrt. Weil dadurch Fehler beim Ablesen dieses Codes entstehen, hemmt Molnupiravir die Vermehrung des Virus [4]. Die hemmende Wirkung scheint jedoch nicht groß genug zu sein, um das Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf merklich zu verringern. An Nebenwirkungen können Übelkeit, Schwindel und Kopfschmerzen auftreten. Die Beschwerden traten mit Molnupiravir bei etwa 1 bis 2 von 100 Behandelten auf, mit Placebo bei 0 bis 1 von 100. Molnupiravir darf nicht in der Schwangerschaft eingesetzt werden. Tierversuche lieferten nämlich Hinweise darauf, dass das Medikament dem Ungeborenen schaden kann. Fachleute empfehlen Frauen daher, während und bis zu vier Tage nach der Einnahme von Molnupiravir sicher zu verhüten. Männern empfehlen sie dies bis zu drei Monaten danach [6,7]. Während der Behandlung und vier Tage danach sollte außerdem das Stillen unterbrochen werden. In den USA hat Molnupiravir weiter eine Notfallzulassung für Erwachsene mit einem erhöhten Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf, wenn andere Optionen wie etwa Paxlovid nicht infrage kommen [5]. Die Studien im Detail Welche Studien haben wir berücksichtigt? Eine systematische Übersichtsarbeit [1] fasst die Ergebnisse aller aussagekräftigen Forschungsarbeiten zu Molnupiravir bei Covid-19-Erkrankten zusammen: Insgesamt sind das die Daten von neun randomisiert-kontrollierten Studien. Bei dieser Studienart werden die Teilnehmenden nach dem Zufallsprinzip (randomisiert) einer von zwei Gruppen zugeteilt. Die Behandlungsgruppe erhält Molnupiravir, die Kontrollgruppe zum Vergleich ein Scheinmedikament (Placebo) ohne Wirkung. Bei der zusammenfassenden Analyse unterscheidet die Übersichtsarbeit allerdings nicht, ob die Teilnehmenden geimpft waren oder nicht. Deshalb konzentrieren wir uns auf jene Studien, die Geimpfte und Nicht-Geimpfte getrennt betrachtet haben. Das ist nur in den beiden größten Studien [2,3] der Fall. Sie umfassen rund 80 Prozent der Teilnehmenden aller durchgeführten Studien. Zur Studie mit Geimpften gibt es nur vorläufige Daten aus einer Zwischenauswertung [2]; die Studie wird noch bis September 2023 fortgesetzt. Das Forschungsteam hat die Einnahme von Molnupiravir mit dem üblichen Vorgehen in der Gesundheitsversorgung im Fall einer Covid-Erkrankung verglichen. Dazu gehörte etwa die Behandlung besonders gefährdeter Personenmit einer Infusion, die Antikörper enthält. Die Studie mit Ungeimpften [3] ist bereits abgeschlossen. Wer nahm an den Studien teil? An beiden Studien [2,3] nahmen Menschen teil, die an Covid-19 erkrankt waren und ein Risiko für einen schweren Verlauf hatten. Zu den Risikofaktoren gehören höheres Alter, bestimmte chronische Erkrankungen, etwa der Lunge oder des Herz-Kreislauf-Systems, oder eine Immunschwäche. Die rund 26.000 Teilnehmenden in der Studie, die im Vereinigten Königreich durchgeführt wurde, waren fast alle geimpft, mehr als 94 Prozent dreimal oder öfter. Die Studie begann, als bereits die Omikron-Variante des Corona-Virus kursierte [2]. Die etwa 1.400 Teilnehmenden in der zweiten Studie stammten aus 20 verschiedenen Ländern. Sie waren alle nicht gegen Covid-19 geimpft, hatten aber ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf. Während der Studie kursierten vor allem die Delta-Variante und einige andere, allerdings noch nicht Omikron [3]. Wie aussagekräftig sind diese Studien? Die beiden Studien sind gut geeignet, um die Frage zu beantworten, ob Molnupiravir vor schweren Covid-Verläufen schützen kann. Größere Qualitätsmängel sind uns nicht aufgefallen. Wissenschaftliche Quellen [1] Covid NMA (2022) Molnupiravir vs Standard care/Placebo. Abgerufen am 1.3.2022 unter https://covid-nma.com/living_data/index.php?comparison=512 [2] Butler (2022) Butler CC, Hobbs FDR, Gbinigie OA, u.a. Molnupiravir plus usual care versus usual care alone as early treatment for adults with COVID-19 at increased risk of adverse outcomes (PANORAMIC): an open-label, platform-adaptive randomised controlled trial. Lancet. 2022 Dec 22:S0140-6736(22)02597-1. (Studie in voller Länge) [3] Jayk Bernal (2022) Molnupiravir for Oral Treatment of Covid-19 in Nonhospitalized Patients. N Engl J Med 2022; 386:509-520 (Studie in voller Länge) [4] EMA (2023) Lagevrio. Abgerufen am 1.3.2023 unter https://www.ema.europa.eu/en/medicines/human/summaries-opinion/lagevrio [5] UpToDate (2022) COVID-19: Management of adults with acute illness in the outpatient setting (Stand 30.1.2023). Abgerufen am 1.3.2023 unter https://www.uptodate.com/contents/covid-19-management-of-adults-with-acute-illness-in-the-outpatient-setting [6] BfArM (2023) Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Ablehnung des Zulassungsantrags von Lagevrio (Molnupiravir) und Beendigung des Inverkehrbringens in Deutschland. Abgerufen am 1.3.2023 unter https://www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/Arzneimittelinformationen/lagevrio-ablehnung-zulassung.html [7] BASG (2023) Covid-19 Therapeutika. Abgerufen am 1.3.2023 unter https://www.basg.gv.at/covid-19/covid-19-therapeutika Versionsgeschichte 2.3.2023: Im Februar 2023 hat die europäische Zulassungsbehörde EMA nach langer Beratung bekannt gegeben, dass das Medikament in der EU keine Zulassung erhält. Text entsprechend aktualisiert. Unsere Einschätzung der vermutlichen Nichtwirksamkeit ändert sich jedoch nicht. 2.1.2023: erste Version Schlagworte CoronaCorona-MedikamentCoronavirusCovid-19Covid-19-MedikamentMolnupiravirSARS-CoV-2 In über 500 Faktenchecks suchen