Startseite ● Gerinnungshemmer Rivaroxaban: wohl kein erhöhtes Risiko Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert. Gerinnungshemmer Rivaroxaban: wohl kein erhöhtes Risiko Gerinnungshemmer senken das Risiko Herzinfarkte oder Schlaganfälle. Eine neue Klasse von Gerinnungshemmern steht allerdings im Verdacht, gefährliche Blutungen zu fördern. 03. August 2015 AutorIn: Jörg Wipplinger Review: Bernd Kerschner Claudia Christof Teilen Hat der Wirkstoff Rivaroxaban (Medikament Xarelto) ein höheres Risiko für gefährliche Blutungen als andere Gerinnungshemmer? wahrscheinlich nicht Hochwertige Studien bei den häufigsten Einsatzbereichen von Rivaroxaban zeigen entweder ein gleich hohes oder sogar ein geringeres Blutungsrisiko als bei anderen Blutgerinnungsmedikamenten. Das heißt aber noch nicht, dass es in allen Fällen die beste Wahl ist. Bei Blutungen im Magen oder Darm besteht noch Forschungsbedarf. so arbeiten wir Rote Blutkörperchen in der Blutbahn © Robert_Kneschke – fotolia.com Eine der grandiosen Fähigkeiten des Blutes ist es, Wunden zu verschließen. Der Mechanismus dazu heißt Blutgerinnung; dabei heften sich Bestandteile des Bluts zusammen und bilden eine feste Masse, die eine Wunde verschließen kann. Unter bestimmten Umständen kann die Blutgerinnung aber gefährlich sein, nämlich dann, wenn sich solche Klumpen in den Blutgefäßen bilden und drohen, diese zu verstopfen. Ein blockierender Klumpen wird Blutgerinnsel oder Thrombus genannt und löst eine Thrombose aus. Wird der Klumpen vom Blutstrom mitgeschwemmt, heißt das Embolie – und die kann richtig gefährlich werden: Verstopft der Klumpen beispielsweise kleine Gefäße im Gehirn, kann es zum Schlaganfall kommen. Es gibt also Situationen, in denen die Blutgerinnung eingeschränkt werden sollte, beispielsweise nach großen Operationen, bei Venenthrombosen oder bei erhöhtem Risiko für Schlaganfall und Herzinfarkt. Dazu dienen Gerinnungshemmer. Ein ganz besonderer Saft Gerinnungshemmer senken die Wahrscheinlichkeit, dass sich Klumpen im Blut bilden, dafür erhöhen sie die Wahrscheinlichkeit von Blutungen – Wunden werden langsamer geschlossen.[a] Nebenwirkungen reichen von blauen Flecken über Zahnfleisch- und Nasenbluten bis hin zu schwerwiegenden Blutungen, die lebensbedrohlich sein können. Es gibt ganz verschiedene Arten von Gerinnungshemmern. Sie funktionieren auf unterschiedliche Weise und haben entsprechend auch andere Vor- und Nachteile.[a] Bei den älteren Medikamente war es beispielsweise notwendig, die Gerinnungsfähigkeit des Blutes laufend zu überwachen [1]. Das ist bei den neuen Mitteln aus der Gruppe der Faktor-Xa-Hemmer unnötig. Zu diesen Mitteln gehört auch Xarelto, der Wirkstoff heißt Rivaroxaban. Faktor Xa ist ein entscheidendes Signalmolekül, das den Startschuß zur Blutgerinnung gibt. Wird es gehemmt, kommt die Gerinnung nicht in Gange. Laut einem Artikel des Magazins Spiegel aus dem Jahr 2013 besteht der Verdacht, dass dieses Medikament mehr starke Blutungen auslöst als andere. Was sagen die aktuellen Studien? Viele Gruppen, viele Ergebnisse Bei tiefen Venenthrombosen [1] und bei der Schlaganfallvermeidung bei Patienten mit Vorhofflimmern sind die neuen Medikamente zumindest gleich effektiv [2] [3] wie die älteren. Bei Patienten mit tiefen Venenthrombosen oder einer Nierenfunktionsstörung kommt es unter Faktor-Xa-Hemmern sogar zu deutlich weniger Blutungen [1] [5]. Auch eine zusammenfassende Analyse bisher veröffentlichter Studien speziell zu Rivaroxaban findet insgesamt weniger tödlich verlaufende Blutungen als beim Einsatz von Vitamin K Antagonisten (Cumarine) [4], auch wenn sich bei der Zahl vorzeitiger Todesfälle insgesamt letztlich kein Unterschied gezeigt hat. Beim Vergleich von Rivaroxaban mit anderen Faktor-Xa-Hemmern finden sich nur sehr geringe Unterschiede: Laut einer aktuellen Zusammenfassung über mehrere Meta-Analysen, schneidet der Wirkstoff von Xarelto zwar nicht am besten ab, das Ergebnis ist aber mit großen Unsicherheiten behaftet. Es ist daher nicht klar, ob ein Faktor-Xa-Hemmer besser als ein anderer ist. [3] Nur eine systematische Übersichtsarbeit liefert Hinweise auf ein eventuell höheres Risiko: 2013 legte eine Studie nahe, dass es mit den neuen Medikamenten zu mehr Magen-Darm-Blutungen kommen könnte, gerade auch bei Rivaroxaban [6]. Wirklich gefährliche Blutungen haben allerdings auch laut dieser Studie nicht zugenommen. Außerdem wurden hier auch einige Einzelstudien von schlechter Qualität mit aufgenommen, das Ergebnis ist also nicht sehr zuverlässig. Neu vs. etabliert Obwohl die Studien in Summe dem Wirkstoff von Xarelto ein gutes Zeugnis ausstellen, heißt das noch nicht, dass es immer die beste Wahl ist. Einerseits unterscheiden sich die Studien zu den unterschiedlichen Einsatzgebieten etwas, andererseits reagieren Patienten unterschiedlich auf Blutgerinnungsmedikamente. Die schon viel länger im Einsatz befindlichen Vitamin K Antagonisten, beispielsweise das bekannte Medikament Marcoumar, haben durch die notwendige ständige Überwachung auch einen Vorteil: Es ist möglich, die Wirkung bei Bedarf mit Hilfe von anderen Medikamenten aufzuheben, also wenn erste kleine Blutungen auftreten oder bei Notfällen. Bei dem Wirkstoff Rivaroxaban und ähnlichen Gerinnungshemmern geht das nicht so einfach [b]. Außerdem ist durch den langjährigen Einsatz das Nebenwirkungsprofil besser abgesichert als bei neueren Medikamenten, bei denen zwangsläufig kaum Daten über Langzeitwirkungen existieren. Die Studien im Detail Einige hochwertige Übersichtsarbeiten haben sich die Wirksamkeit und die Risiken der neuen Blutgerinnungshemmer bei den unterschiedlichen Einsatzbereichen angesehen. Zur Therapie bei tiefen Venenthrombosen existiert ein aktueller Cochrane Review [1] von Juni 2015. Dabei wird allerdings nicht nur der Wirkstoff Rivaroxaban untersucht, sondern alle mit dem gleichen Wirkprinzip – die Faktor-Xa-Hemmer. Insgesamt wirken diese Medikamente gleich gut wie die ältere Behandlung mit Vitamin K Antagonisten, allerdings mit einem deutlich niedrigeren Risiko für Blutungen –die Gefahr wird beinahe halbiert. Auch zum Einsatz bei Patienten mit Vorhofflimmern wurde bereits 2013 ein Cochrane Review verfasst [2]. Laut diesem vermeidendie neuen Medikamente Schlaganfälle effektiver als die älteren, hinsichtlich des Blutungsrisikos findet sich kein Unterschied. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine Zusammenfassung mehrerer Meta-Analysen im Jahr 2015 [3]. Darin wurden zusätzlich auch alle neuen Medikamente gegeneinander verglichen. Laut dieser Auswertung ist bei Schlaganfallprävention Dabigatran am effektivsten und Apixaban am sichersten. Rivaroxaban wäre demnach nicht das beste neue Medikament, die Unterschiede sind allerdings sehr gering und Ergebnis noch nicht sehr verlässlich. Welcher Faktor-Xa-Hemmer der geeignetste ist, muss in weiteren Studien mit direkten Vergleichen geklärt werden. Eine Meta-Analyse aus 2013 hat sich ganz spezifisch das Blutungsrisiko von Rivaroxaban angesehen. Demzufolge kann Rivaroxaban das Risiko für tödliche Blutungen im Vergleich zu Vitamin K Antagonisten beinahe halbieren. Die Gesamtzahl an Blutungen ändert sich nicht, auch nicht die Wahrscheinlichkeit frühzeitig zu sterben. [4] Wissenschaftliche Quellen [1] Robertson u.a. (2015) Studientyp: Systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse von Cochrane Eingeschlossene Studien: zehn randomisiert kontrollierte Einzelstudien Teilnehmer insgesamt: 42.084 Fragestellung: Neue orale Gerinnungshemmer bei tiefer Venenthrombose Interessenskonflikte: : ein Autor hat mehrere Honorare von Pharmaherstellern erhalten, ein zweiter Reise –und Vortragsstipendien Robertson L, Kesteven P, McCaslin JE. Oral direct thrombin inhibitors or oral factor Xa inhibitors for the treatment of deep vein thrombosis. Cochrane Database of Systematic Reviews 2015, Issue 6. Art. No.: CD010956. http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/14651858.CD010956.pub2/abstract [2] Bruins u.a. (2013) Studientyp: Systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse von Cochrane Eingeschlossene Studien: elf randomisiert kontrollierte Einzelstudien Teilnehmer insgesamt: 27.945 Fragestellung: Xa-Inhibitoren für die Schlaganfallprophylaxe bei Vorhofflimmern Interessenskonflikte: beide Autoren haben je ein Honorar für einen Vortrag erhalten. Bruins Slot KMH, Berge E. Factor Xa inhibitors versus vitamin K antagonists for preventing cerebral or systemic embolism in patients with atrial fibrillation. Cochrane Database of Systematic Reviews 2013, Issue 8. Art. No.: CD008980. http:// onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/14651858.CD008980.pub2/abstract [3] Cope u.a. (2015) Studientyp: Kritische Bewertung mehrer Netzwerk-Meta-Analysen Eingeschlossene Studien: elf Netzwerk-Meta-Analysen Fragestellung: Wirksamkeit und Sicherheit von neuen oralen Gerinnungshemmern zur Schlaganfallprophylaxe bei Vorhofflimmern Interessenskonflikte: Studie finanziert von Boehringer Ingelheim Cope S, Clemens A, Hammès F, Noack H, Jansen JP. Critical appraisal of network meta-analyses evaluating the efficacy and safety of new oral anticoagulants in atrial fibrillation stroke prevention trials. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/25773559 [4] Wasserlauf u.a. (2013) Studientyp: Systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse Eingeschlossene Studien: fünf randomisiert-kontrollierte Studien Teilnehmer insgesamt: 23.063 Fragestellung: Blutungsrisiko durch Rivaroxaban? Wasserlauf G, Grandi SM, Filion KB, Eisenberg MJ. Meta-analysis of rivaroxaban and bleeding risk. Am J Cardiol. 2013 Aug 1;112(3):454-60. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23642380 [5] Sardar u.a. (2014) Studientyp: Systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse Eingeschlossene Studien: zehn randomisiert-kontrollierte Studien Teilnehmer insgesamt: 40.693 Fragestellung: Neue orale Gerinnungshemmer bei Niereninsuffizienz? Interessenskonflikte: zwei der sechs Autoren bezogen zahlreiche Honorare von unterschiedlichen Pharmaherstellern. Sardar P, Chatterjee S, Herzog E, Nairooz R, Mukherjee D, Halperin JL. Novel oral anticoagulants in patients with renal insufficiency: a meta-analysis of randomized trials. Can J Cardiol. 2014 Aug;30(8):888-97. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/25064581 [6] Holster u.a. (2013) Studientyp: Systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse Eingeschlossene Studien: 43 Einzelstudien Teilnehmer insgesamt: 151.578 Fragestellung: Erhöhen neue orale Gerinnungshemmer das Risiko für gastrointestinale Blutungen? Interessenskonflikte: keine angegeben. Holster IL, Valkhoff VE, Kuipers EJ, Tjwa ET. New oral anticoagulants increase risk for gastrointestinal bleeding: a systematic review and meta-analysis. Gastroenterology. 2013 Jul;145(1):105-112.e15. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23470618 Weitere wissenschaftliche Quellen [a] IQWIG über Gerinnnungshemmer http://www.gesundheitsinformation.de/was-sind-gerinnungshemmer-und-wie-werden-sie.2316.de.html [b] UpToDate: über Blutungsgefahren durch Gerinnungshemmer http://www.uptodate.com/contents/risk-of-intracerebral-bleeding-in-patients-treated-with-anticoagulants?source=search_result&search=Rivaroxaban&selectedTitle=8~78 Schlagworte AntikoagulanzienApoplexArzneimittelBlutBlutgerinnselBlutgerinnungshemmerBlutkreislaufBlutverdünnerGehirnGerinnungshemmerHerzHerz-KreislaufHerzanfallHerzinfarktHirnschlagMedikamentRivaroxabanSchlaganfallThromboseThrombusXarelto In über 500 Faktenchecks suchen