Startseite ● Antibiotika bei Nebenhöhlenentzündung: Höchstens kleiner Nutzen Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert. Antibiotika bei Nebenhöhlenentzündung: Höchstens kleiner Nutzen Wenn die Nebenhöhlen der Nase und der Stirn entzündet sind, fühlt man sich durch Druck und Schmerzen elend. Antibiotika beschleunigen die Heilung nur geringfügig. 23. November 2018 AutorIn: Iris Hinneburg Review: Julia Harlfinger Bernd Kerschner Claudia Christof Teilen Beschleunigt die Einnahme von Antibiotika bei einer akuten Nebenhöhlenentzündung das Abheilen der Infektion? ein bisschen Die Einnahme von Antibiotika kann das Abheilen einer akuten Nebenhöhlenentzündung etwas beschleunigen. Allerdings ist die Erfolgsquote nicht berauschend: Nur bei 5 von 100 Menschen führen Antibiotika zu einer schnelleren Genesung. Schmerzen und Beeinträchtigungen im Alltag werden nicht verbessert. Und natürlich können Antibiotika auch Nebenwirkungen auslösen. Alles in allem haben Antibiotika bei einer akuten Nebenhöhlenentzündung oft keinen großen Nutzen. so arbeiten wir Entzündungen in den Nebenhöhlen schmerzen. Antibiotika können helfen - aber nur selten. © Ines Bazdar – shutterstock.com In jedem Jahr bringt der Herbst eine erste Erkältungswelle mit sich. Wer Glück hat, muss nur einige Tage erst mit laufender, dann mit verstopfter Nase hinter sich bringen. Wer Pech hat, handelt sich zusätzlich einen hartnäckigen Husten oder als Folge der Erkältung eine Nebenhöhlenentzündung ein [2]. Schmerzen, Druck, Fieber Bei einer Nebenhöhlenentzündung, auch „Rhinosinusitis“ genannt, sind die Schleimhäute in der Nase und in den Nebenhöhlen entzündet. Typisch sind dann Schmerzen hinter der Stirn oder im Kiefer, Druckgefühl, Fieber und eitriger Ausfluss aus der Nase. Doch die Selbstheilungsrate ist bei Nebenhöhlenentzündungen recht hoch. Die Krankheit ist nach ein bis zwei Wochen für die meisten ausgestanden [4]. Antibiotika: oft verordnet Wenn die Beschwerden nicht oder nicht rasch genug von selbst verschwinden, werden häufig Antibiotika verordnet. Aber bringt das tatsächlich etwas? Denn nur selten sind Bakterien die Verursacher einer Nebenhöhlenentzündung. Meistens sind Viren die verantwortlichen Erreger – und gegen sie können Antibiotika gar nichts ausrichten. Hilfreich – aber nur für wenige Mit dieser Frage haben wir uns auf die Suche nach aussagekräftigen Studien gemacht. Anders als so oft haben wir diesmal tatsächlich gut gemachte Studien mit belastbaren Daten gefunden. Sie besagen, dass Antibiotika eine akute Nebenhöhlenentzündung etwas verkürzen können – aber nur bei wenigen Menschen. Während der Erkrankung sorgen Antibiotika nicht für eine Verbesserung der wesentlichsten Beschwerden wie Schmerzen und den damit verbundenen Einschränkungen im Alltag. Lediglich gegen eitrigen Schnupfen helfen die Antibiotika; aber dieses Symptom ist bei einer Nebenhöhlenentzündung für die Betroffenen meist ein vergleichsweise kleines Problem. Auch mit Nebenwirkungen wie Durchfall ist zu rechnen. Entzündung der Hohlräume Eine akute Nebenhöhlenentzündung – „Rhinosinusitis“ im Fachjargon – entwickelt sich oft aus einer Infektion der oberen Atemwege, etwa einer Erkältung. Verursachende Erreger einer Nebenhöhlenentzündung sind meistens Viren. Seltener sind Bakterien verantwortlich. Anhand der Symptome lässt sich für Ärztinnen und Ärzte meist nicht entscheiden, welche Erreger hinter der Erkrankung stecken. Weitere Untersuchungen werden aber bei einer unkomplizierten akuten Nebenhöhlen nicht routinemäßig durchgeführt [2,3,4]. Die betroffenen Regionen – also die Nebenhöhlen – sind luftgefüllte Hohlräume im Schädel. Sie befinden sich an der Stirn („Stirnhöhlen“), hinter der Nasenwurzel sowie seitlich der Nase („Nasennebenhöhlen“) und sind mit der Nasenhöhle verbunden. Eine akute Rhinosinusitis verschwindet meist innerhalb von vier Wochen wieder. Bestehen die Beschwerden jedoch länger als drei Monate, sprechen Fachleute von einer „chronischen Rhinosinusitis“. Immunreaktionen, Schleimhautwucherungen (Polypen) oder eine verkrümmte Nasenscheidewand können dazu beitragen, dass die Symptome dauerhaft werden [2]. Mehr Information zu Nasennebenhöhlenentzündungen, Mittel gegen Nasennebenhöhlenentzündungen sowie die richtige Anwendung von Antibiotika finden Sie auf den Seiten von www.gesundheitsinformation.de. Die Studien im Detail Bei unserer Literatursuche sind wir auf eine systematische Übersichtsarbeit [1] gestoßen. Sie wurde im September 2018 veröffentlicht und enthält Studien bis einschließlich Jänner 2018. Wir haben in zwei Literaturdatenbanken nach neueren Studien gesucht, sind aber nicht fündig geworden. Wir gehen daher davon aus, dass die systematische Übersichtsarbeit den aktuellen Stand der Wissenschaft zu unserer Fragestellung spiegelt. Viren oder Bakterien? In die Übersichtsarbeit hat das Forschungsteam nur solche Studien aufgenommen, bei denen die Diagnose „akute Rhinosinusitis“ aufgrund der von den Betroffenen berichteten Beschwerden oder mit Hilfe von bildgebenden Verfahren (wie Röntgen oder CT) gestellt worden war. Nicht eingeschlossen wurden Untersuchungen, an denen nur Testpersonen mit nachgewiesener bakterieller Infektion teilnahmen. Das ist deshalb wichtig zu wissen, weil es für Ärztinnen und Ärzte im Alltag häufig schwierig ist, ohne weitere (aufwändige) Untersuchungen zwischen bakteriellen und viralen Ursachen der Entzündung zu unterscheiden. Die Ergebnisse der systematischen Übersichtsarbeit lassen sich daher auf den „typischen Fall“ anwenden, bei dem nicht geklärt ist, ob Viren oder Bakterien im Spiel sind und Antibiotika eventuell „umsonst“ verschrieben werden. Antibiotikum oder Placebo Die berücksichtigten 15 randomisierten kontrollierten Studien umfassten insgesamt mehr als 3000 Testpersonen. Sie waren im Durchschnitt Mitte 30 und hatten bei Behandlungsbeginn bereits seit mindestens sieben Tagen Beschwerden. Es war unklar, ob Viren oder Bakterien die Entzündung ausgelöst hatten. Nach dem Zufallsprinzip erhielten sie entweder ein Scheinpräparat (Placebo) oder ein Antibiotikum. Die meisten Studien untersuchten das Antibiotikum Amoxicillin. Lediglich eine Untersuchung verglich die Wirkung des Medikaments mit jener von gar keiner Behandlung. In einer Studie wurde ein Antibiotikum mit einem Cortison-Nasenspray kombiniert. In vielen Untersuchungen durften die Testpersonen nach Bedarf Schmerzmittel und/oder einen abschwellenden Nasenspray benutzen. In sechs Studien war ein abschwellender Nasenspray verpflichtender Teil der Behandlung für alle Testpersonen. Die Behandlung dauerte jeweils zwischen drei und zehn Tagen. Placebogruppe: viele gesund von selbst Die Forschungsteams der Einzelstudien verglichen dann zu verschiedenen Zeitpunkten (7 bis 28 Tage nach Behandlungsbeginn) die Ergebnisse in den beiden Gruppen. Dabei stellten sie fest, dass in der Placebogruppe nach einer Woche rund die Hälfte der Patientinnen und Patienten wieder gesund waren, nach zwei Wochen waren es fast zwei Drittel. Anders ausgedrückt: Eine akute Rhinosinusitis hat eine hohe Selbstheilungsrate. Krankheitsdauer: nur 5 von 100 profitieren Welchen Nutzen hat jetzt die Einnahme eines Antibiotikums auf die Heilung, also da Verschwinden aller Symptome? Diesen Effekt werteten acht Studien mit rund 1700 Testpersonen aus. Zusammengefasst waren am Ende der Studien 60 von 100 Menschen mit Antibiotika-Einnahme wieder gesund, mit Placebo waren es 55 von 100. Das bedeutet also: Nur 5 von 100 Menschen mit akuter Rhinosinusitis profitieren davon, wenn sie statt eines Scheinmedikaments ein Antibiotikum einnehmen. Diese Schätzung ist sehr zuverlässig, da die Studien eine gute methodische Qualität sowie viele Testpersonen hatten, und zu ähnlichen Ergebnissen kamen. Mit Antibiotikum war eine Nebenhöhlenentzündung bei 60 von 100 Testpersonen zu Studienende (meist 1 bis 2 Wochen nach Behandlungsbeginn) ausgestanden. Ohne Antibiotikum (aber mit Placebo) waren 55 von 100 Testpersonen zu Studienende gesund. Das heißt, dass nur 5 von 100 Personen, die ein Antibiotikum einnehmen, von einer kürzeren Krankheitsdauer profitieren. Die meisten Menschen werden von selbst wieder gesund. Fast keine Linderung einzelner Symptome Können Antibiotika wenigstens einzelne Beschwerden lindern, auch wenn der Effekt auf die vollständige Heilung nur sehr gering ist ? Auch das wurde in einigen Studien getestet, doch fanden sich keine positiven Effekte des Antibiotikums: weder auf den Zeitraum mit Beschwerden, noch für Schmerzen oder krankheitsbedingte Einschränkungen im Alltag. Einen Unterschied fand das Forschungsteam lediglich für eitrigen Schnupfen: Bei 10 von 100 Menschen wird das Nasensekret schneller wieder klar, wenn sie ein Antibiotikum statt eines Scheinmedikaments einnehmen. Allerdings ist das bei einer Nebenhöhlenentzündung vermutlich ein Symptom, das den meisten Menschen ziemlich egal ist, im Gegensatz etwa zu Schmerzen und Druckgefühl. Auch diese Ergebnisse sind sehr zuverlässig. Mit Antibiotikum war das Symptom „eitriges Nasensekret“ bei 70 von 100 Testpersonen zu Studienende (meist ein bis zwei Wochen nach Behandlungsbeginn) ausgestanden. Ohne Antibiotikum (aber mit Placebo) hatten 60 von 100 Testpersonen zu Studienende kein eitriges Nasensekret mehr. Das heißt, dass bei 10 von 100 Personen das eitrige Nasensekret durch das Antibiotikum „gestoppt“ wird. Nebenwirkungen: bei 13 von 100 In den meisten Studien wurden auch Nebenwirkungen untersucht. Mit Antibiotikum hatten 28 von 100 Menschen unerwünschte Wirkungen, meistens Magen-Darm-Beschwerden wie Durchfall. Mit Placebo berichteten 15 von 100 Testpersonen von Nebenwirkungen. Folglich leiden 13 von 100 Personen, die Antibiotika einnehmen, unter durch das Medikament ausgelöste Nebenwirkungen. Wissenschaftliche Quellen [1] Lemiengre (2018) Studientyp: systematische Übersichtsarbeit Eingeschlossene Studien: 15 randomisierte kontrollierte Studien mit insgesamt 3057 Testpersonen Fragestellung: Beschleunigt die Gabe von Antibiotika bei Erwachsenen mit akuter Rhinosinusitis die Heilung oder verbessern sich dadurch die Beschwerden schneller? Interessenskonflikte: 5 von 6 Personen aus dem Autorenteam waren an einigen der berücksichtigten Einzelstudien beteiligt, sonst bestehen keine Interessenskonflikte Lemiengre MB u.a. Antibiotics for acute rhinosinusitis in adults. Cochrane Database Syst Rev 2018; CD006089 Zusammenfassung Weitere wissenschaftliche Quellen [2] IQWiG (2018) Nasennebenhöhlenentzündung. (Zugriff 14.11.2018) [3] UpToDate (2018) Acute sinusitis and rhinosinusitis in adults: Clinical manifestations and diagnosis. (Zugriff 09.11.2018) [4] UpToDate (2018) Uncomplicated acute sinusitis and rhinosinusitis in adults: Treatment. (Zugriff 09.11.2018) Schlagworte AntibiotikaBakterienInfektionNebenhöhlenNebenhöhlenentzündungRhinosinusitisSinusitisViren In über 500 Faktenchecks suchen